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Die Strasse des Horus

Die Strasse des Horus

Titel: Die Strasse des Horus
Autoren: Pauline Gedge
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wildes Gejammer wehte über den Fluss und wurde von Tausenden von Stadtbewohnern aufgenommen, die sich am Ostufer drängten, um ihrem König und Beschützer Lebewohl zu sagen.
    Wenigstens Waset hat ihn geliebt und ehrt ihn, dachte Aahmes-nofretari. Auf einmal fing sie an zu weinen, bückte sich im Gehen, hob eine Hand voll ägyptische Erde auf, drückte den heißen Sand in ihrer Hand, ehe sie ihn über die Stirn rieseln ließ und sich ins Gesicht rieb.
    Kamoses kleine Pyramide lag am südlichen Rand der Begräbnisstätte, ihr Vorhof öffnete sich nach Osten, damit er die aufgehende Sonne empfangen konnte. Dahinter erhob sich der viel größere Totentempel und das Grabmal seines Vorfahren Osiris Mentuhotep-neb-hapet-Re unmittelbar am Fuß der schroffen Felsen von Gurn. Als der Sarg vom Schlitten gehoben und aufrecht an die Wand des Grabmals gelehnt wurde, blickte sich Aahmes-nofretari um. Du befindest dich in guter Gesellschaft, lieber Kamose, sagte sie zu ihm. Hier ruhen die Götter glücklicherer Zeiten. Du verdienst es, mitten unter ihnen zu liegen, denn wie sie hast auch du Ägypten geliebt und die Maat verehrt und für beides dein Leben gegeben.
    Die Mitglieder des Trauerzuges schwiegen, als der Deckel des Sarges entfernt wurde. Aahmes-nofretari stockte der Atem, sie hob die Augen zu der Gestalt, die im Dunkel des Holzkastens stand. Im Geist durchdrang sie Lage um Lage von fest und kunstvoll gewickelten Binden und die Schutzamulette bis zu dem geliebten Menschen darunter, wie sie ihn hatte schlafen sehen, auf dem Rücken liegend, die Hände auf der sich sacht hebenden und senkenden Brust, das Gesicht reglos, aber dennoch still-belebt. Sie wusste, es war ein Trugbild, wusste, dass Kamose in Wirklichkeit etwas Braunes und Ausgetrocknetes und Steifes war, doch dem mochte sie noch nicht ins Auge sehen. Amunmose begann jetzt mit der Mundöffnungszeremonie und befreite damit die Sinne ihres Bruders. »Er war erst fünfundzwanzig«, sagte sie lauter, als sie vorgehabt hatte. Sie spürte, wie Ahmose ihre Hand ergriff, seine Finger waren feucht, und da wusste sie, dass auch er weinte.
    Als der Hohe Priester geendet hatte, klagten die Weiber wieder, und dann kniete sich ein Mitglied der Familie nach dem anderen hin und küsste die mit Leinen umwickelten Füße, die nach Myrrhe und Konservierungsbalsamen dufteten. Der Sarg wurde aufgehoben, und endlich trug man Kamose den langen, kahlen Gang entlang in den kleinen Raum, den kein Lebender je wieder sehen würde. In der Mitte war ein Steinsockel, auf dem er ruhen würde, und drum herum stellte man seine Möbel und seine persönliche Habe auf, die er brauchen würde. Es war erbärmlich wenig.
    Aahmes-nofretari hatte einen Arm voll Frühlingsblumen, die sie ihm auf die Brust legte, und seine Mutter ließ Blumen aus dem Garten auf ihn herabregnen, doch Tetischeri stand steif da, und die Tränen liefen ihr über die runzligen Wangen. »Ich habe dem Lebenden alles gegeben«, hatte sie vorher gesagt, »der Tote bekommt nichts von mir. Diesen Tag gibt es nicht für mich.« Ahmose trat zu ihr, legte ihr mitleidsvoll und zärtlich den Arm um die zerbrechlichen Schultern, und zu Aahmes-nofretaris Verwunderung entzog sie sich ihm nicht, sondern ließ sich von ihm stützen, als der Deckel aufgelegt und verschlossen wurde, dann wandten sie sich endgültig ab. Aahmes-nofretari warf einen Blick zurück. Kamose lag bereits im Dunkeln, der Sarg mit seinem leblosen Inhalt war nur noch ein sperriger Umriss, der für immer reglos in diesem Dunkel bleiben würde.
    Drei Tage lang hielten sich Gesinde und Familie in der Nähe des Vorhofes auf, speisten und tranken in seinem Andenken und beteten für die wohlbehaltene Reise seines Kas. In der zweiten Nacht nach der Bestattung konnte Aahmes-nofretari nicht schlafen. Schließlich stand sie auf, griff sich einen Umhang und verließ ihr Zelt. Die Nacht war still und kalt. Auf der anderen Seite des Flusses war Waset an wenigen schwachen goldfarbenen Lichtern zu erkennen, und der Nil strömte beschaulich dahin.
    Es waren nur ein paar Schritte zur niedrigen Mauer des Hofes, und sie überquerte den unebenen, dunklen Boden rasch und ging zu dem gähnenden schwarzen Loch in der Seite der Pyramide, das morgen zugeschüttet und versiegelt werden würde.
    Hier sank sie nieder, zog die Knie an und fing an zu flüstern, erzählte ihrem Bruder, wie sehr sie ihn geliebt hätte, erinnerte ihn an die gemeinsame Kindheit, fasste in Worte, was sie empfunden hatte, wenn
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