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Die Strasse des Horus

Die Strasse des Horus

Titel: Die Strasse des Horus
Autoren: Pauline Gedge
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seine Stimme aus einem anderen Raum drang, während sie den Flur entlangging, in den Garten trat, hochblickte und ihn reglos auf dem Dach des alten Palastes sah, wie sein seltenes Lächeln sie gewärmt hatte. »Du bist unser Fels gewesen, unser Prüfstein, beharrlich und unnachgiebig, und ich habe nicht gemerkt, wie sehr wir uns alle auf dich gestützt haben«, sagte sie leise. »Irgendwie war es selbstverständlich für uns, dass gerade deine Halsstarrigkeit uns immer schützen würde. Jetzt ist Ahmose König, und er macht es anders als du. Das war schon immer so, und das weißt du, lieber Kamose. Dennoch glaube ich, wenn Ahmose die Sache angefangen hätte, es wäre schief gegangen. Das kann nun nicht mehr geschehen, weil seine Zeit gekommen ist, aber du hast das Richtige, das einzig Richtige getan, und das wird dich vor den Göttern rechtfertigen.
    Weißt du noch, wie wir einmal, als wir noch ganz klein waren, am neunzehnten Tag im Thot zu seinem Festtag nach Chemmenu zu Mutters Verwandten gefahren sind? Und wie mich Si-Amun in unserer ersten Nacht auf dem Schiff aus Versehen in den Nil geschubst hat und ich noch nicht schwimmen konnte? Der Fluss war gerade etwas angestiegen. Die Diener sind schreiend durcheinander gelaufen, und Si-Amun hat geweint, und Vater ist aus der Kabine gekommen und hat nicht gewusst, was der ganze Tumult sollte. Da bist du einfach die Laufplanke hinuntergelaufen, bist ins seichte Wasser gewatet und hast mich ans Ufer gezogen. Ich habe gehustet und gespuckt. ›Du Dummchen‹, hast du gesagt. ›Schwimmen ist leicht. Das bringe ich dir bei, und wenn wir wieder zu Haus sind, bist du schneller als die Fische.‹ Selbst damals hast du schon für unsere Sicherheit gesorgt. Ich lasse nicht zu, dass du vergessen wirst. Ich lasse nicht zu, dass dein Andenken verzerrt wird. Die ägyptische Geschichte darf nicht…«
    Doch die Worte erstarben ihr vor Entsetzen in der Kehle, denn im Dunkel des Eingangs zum Grabmal bewegte sich etwas. Eine Gestalt löste sich aus der Leere, kam japsend auf sie zu, und erleichtert erkannte sie Behek, der ihr den grauen Kopf in den Schoß legte. Sie nahm ihn in die Arme. »Wie bist du über den Fluss gekommen?«, schalt sie ihn. »Hast du dich in die Dienerboote gedrängt? Was hast du da drinnen zu suchen gehabt? Morgen früh hätte man dich eingeschlossen, und niemand hätte gewusst, was aus dir geworden ist. Aber ich verstehe dich. Ach, ich verstehe dich.« Und sie barg das Gesicht an seinem warmen Hals und begann zu schluchzen.
    Am Morgen wurden die letzten Gesänge gesungen, die Zelte abgeschlagen und die Essensreste vergraben. Maurer warteten an dem Eingang, der kalte Einsamkeit in die funkelnde Luft zu verströmen schien. »Amunmose kümmert sich darum, dass man die Siegel anbringt, wenn die Männer fertig sind«, sagte Ahmose zu einer stillen Aahmes-nofretari. »Es ist vorbei, wir müssen gehen. Die Boote warten schon. Es gibt viel zu tun. Wie ist Behek hierher gekommen?« Aahmes-nofretari stieg in ihre Sänfte und zog die Vorhänge zu.
    Nachdem sie das Ostufer erreicht hatten, verschwand Ahmose in Richtung Tempel, und die Frauen trennten sich vor ihren Gemächern. Aahmes-nofretari kam das Haus gereinigt vor und bar aller Unterströmungen von Gefühlen, und auf einmal war sie erschöpft. Sie legte sich auf ihr Lager, schloss die Augen und schlief tief und traumlos.
    Abends wurde sie in die Gemächer ihrer Mutter gebeten, wo Ahmose bereits saß, Wasser trank und mit Aahotep plauderte. Er stand auf und begrüßte sie mit einem Kuss. »Du siehst besser aus«, sagte er, nachdem er sie kritisch gemustert hatte. »Kamose ist jetzt fort. Sein Herz ist gewogen worden, er hat den Gerichtssaal verlassen und seinen Platz in der Heiligen Barke neben unseren Vorfahren eingenommen. Spürst du es nicht?«
    »O doch«, sagte sie. »Darum kommt mir das Haus wie … wie gesäubert vor.« Sie zog die Stirn in Falten. »Ramose tut mir Leid. Er muss Nofre-Sachuru nach Chemmenu begleiten und ihre Bestattung überstehen. Ist er schon zurück, Ahmose?«
    »Ja. Nofre-Sachuru ist vollständig einbalsamiert, aber ich kann Ramose die nächsten Tage noch nicht freigeben. Morgen ist der letzte Tag im Pharmuthi. Für den ersten Tag im Pachons, den Sommeranfang, plane ich eine großartige Zeremonie im Tempel, und dabei muss Ramose anwesend sein. Ich kann nicht zum König gekrönt werden«, fuhr er bedrückt fort. »Die Atef-Krone und die Doppelkrone befinden sich in Auaris. Aber ich habe vor,
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