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Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman

Titel: Film Riss: der etwas andere Frankfurter Roman
Autoren: Kolja Alexander Bonke
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1. Aufwachen
     
    Ohne Erinnerung aufzuwachen ist ein bisschen wie ein neues Leben zu beginnen. Jungfräulich noch mal von vorne anfangen. Mit einem unbeschriebenen Blatt als Leben und keinem vollgekritzelten Fresszettel. Meine unbeschriebenen Blätter kann ich nicht mehr zählen, sie sind nie lange weiß geblieben.
     
    Ein Lichtstrahl fällt in mein Gesicht. Schlimmer als Peperoni brennt er in meinem rechten Auge, als ich es mühsam mit Daumen und Zeigefinger öffne. Scheint die Sonne zu sein. Stöhnend versuche ich ihr auszuweichen — und falle. Nicht tief, trotzdem erschreckend wie jeder Sturz aus dem Bett. Die Landung ist weich, etwas Warmes und Flauschiges unter mir schreit auf. Ich starre in riesige grüne Augen, als mich ein Prankenhieb trifft und es sich anfühlt, als würde mir die Backe abgerissen. Millisekunden später schießt ein dickes rotes Fellbündel zur Tür hinaus und mir Blut aus dem Gesicht.
     
    Verheißungsvoll, dieser Morgen. Ich entscheide mich spontan dazu, noch etwas liegenzubleiben.
     
    Als ich wieder aufwache, hat sich meine Lage tatsächlich verbessert. Liege zwar immer noch nackt auf dem Boden einer fremden Wohnung, aber die brennende Backe überlagert jetzt die pulsierenden Kopfschmerzen. Ich beschließe, zur Abwechslung lieber den Mund statt die Augen zu öffnen. Dummerweise hat geronnenes Backenblut meine Lippen verklebt, was das Sprechen nicht gerade erleichtert.
     
    „Hm hm … hallo?“
    Nichts.
    „Ist da jemand?“
    Niemand.
    „Äh … wo bin ich?“
     
    Beide Daumen und beide Zeigefinger öffnen mit vereinten Kräften meine Augenlider. Hirn und Sehmuskel versuchen in gemeinsamer Anstrengung, den Fokus auf die Zimmerdecke einzustellen. Nach kaum einer Minute gelingt es ihnen.
     
    Die nette Einrichtung kommt mir vertraut vor: Selbstbewusste weibliche Urbanität gepaart mit Retro-Sensibilität und einem Hauch Esoterik. Um zu erfahren, wo ich bin, werde ich aber wohl mehr als nur den Sehmuskel bewegen müssen.
     
    Ich hebe den Kopf, setze mich auf und knacke mit der Halswirbelsäule wie George Clooney in
From Dusk Till Dawn
. Nach diesem Krachen der Wirbel bin ich schon seit Jahren süchtig — es befreit mich von Kopfschmerzen und Beklemmungsgefühlen. Und mein Kopf lässt sich danach wieder drehen. Sollte ich dieses Knochenknacken über längere Zeit vergessen, ist mit erhöhter Aggression, Panikattacken oder Lähmungserscheinungen zu rechnen. Ursache sind verkantete Wirbel, die durch Hypermobilität irgendwelche wichtigen Nerven im Rücken blockieren. Kann unangenehme Folgen haben. Zum Beispiel bei einem Fellatio vor traumhafter Kulisse eines Ziersees. Ist einige Jahre her, beim Orgasmus bin ich umgekippt und beinahe ertrunken.
     
    Eine nackte Brünette auf dem Bett erregt meine Aufmerksamkeit. Genauer gesagt ihre Kehrseite, die sie mir entgegen streckt. Könnte durchaus eine ihrer Schokoladenseiten sein, kommt mir aber nicht besonders bekannt vor.
     
    Um mehr herauszufinden, zwinge ich meinen geschundenen Körper in die Senkrechte und tapse wie ein Bär nach dem Winterschlaf um das Bett herum — trottelig wie John Travolta auf Heroin in
Pulp Fiction
.
     
    Schnell wird klar, das Hinterteil ist tatsächlich nur einer ihrer Vorzüge. Fast genauso flott klärt sich, wem es gehört: Nadja heißt die Dame. Eine verflossene Affäre, die ich Monate nicht gesehen habe. Die Gute hat es nicht nur hinter den Ohren faustdick. So brav kenne ich sie überhaupt nicht — sie muss wirklich tief und fest schlafen.
     
    Ich erinnere mich nun auch an ihren Haustiger, dem ich die kaputte Backe zu verdanken habe. Und an romantische gemeinsame Stunden, vorzugsweise auf Diskotoiletten und in Parkhäusern, bereits kurz nachdem wir uns kennen gelernt hatten. Wie ich dieses Mal bei ihr gelandet bin, kann ich mir leider trotzdem nicht erklären.
     
    Ich könnte Nadja wecken und ihr Fragen stellen. Warum ich hier bin, wo wir uns getroffen haben und was zwischen uns gelaufen ist. Aber Nadjas Stimme … könnte bei diesem Kater leicht meinen Kopf zum Explodieren bringen, fürchte ich. Und das würde ich nur allzu gern vermeiden.
     
    Außerdem weiß ich schon, dass etwas lief. Das spüre ich. Ja, auch Männer spüren das — untenrum. Meine Vorhaut ist völlig im Eimer. Leicht gerötet und ausgefranst wie alter Blumenkohl macht sie einen wirklich mitgenommenen Eindruck.
    Kaum macht man mal bisschen Party, ist eine stark beanspruchte Vorhaut alles, was von nächtlichen Sexabenteuern bleibt. Der
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