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Die Straße des Bösen

Die Straße des Bösen

Titel: Die Straße des Bösen
Autoren: Horst Hoffmann
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Gewändern, die nun vor dem Kampfwagen stand. »Steig ab und geh zu ihr hin!«
    Mythor begriff noch immer nichts, doch kam er der Aufforderung nach. Pandor trabte neben ihm her, während er langsam auf die Frau - nein, eigentlich noch ein Mädchen - zuging, die vielleicht an die fünfzehn Sommer zählte. Ihr Haar war kunstvoll geflochten, die Farbe des Gesichts samtig braun wie bei allen Männern und Frauen, die ihm erwartungsvoll und mit einem Respekt, für den er keine Erklärung fand, entgegensahen. Sie waren völlig anders gekleidet als die Salamiter. Manche trugen gewickelte Tücher handspannenhoch auf dem Kopf, dazu Pluderhosen und Schuhe aus kostbaren Stoffen, die vorne spitz zuliefen und nach oben gebogen waren. Die weiten Gewänder der Frauen leuchteten in allen Farben und wiesen kostbare Stickereien auf.
    Zu sehr unterschieden sich diese Menschen von den Salamitern, als dass es eine Verwandtschaft zwischen diesen Völkern geben konnte. Mythor vermutete, dass jene, die den Stadtstaat einst errichtet hatten, von weit im Süden gekommen waren.
    Er sah Banner in den Händen einiger Männer, als er an ihnen vorbei auf das Mädchen zuschritt. Sie zeigten einen aufgerichteten Löwen mit eingeringeltem Schwanz und einem Pflänzchen in einer Vorderpfote.
    Zu viele Eindrücke strömten auf Mythor ein, als dass er sich ein einigermaßen klares Bild hätte machen können. Wenige Schritte vor dem Mädchen blieb er stehen.
    Sie lächelte ihn an und beugte den Kopf. Dann sprach sie: »Sei gegrüßt, mein König. Du bist gekommen, wie es uns verheißen wurde. Nimm als Willkommensgeschenk das Zeichen deiner künftigen Würde, und reite ein in deine Stadt, deren Bewohner ihre Herzen zu deinen Füßen legen.«
    Das alles konnte nur ein Traum sein! Mythor stand da, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Er sah sich um und erwartete, dass irgend jemand auf ihn zuritt und ihm sagte, dass dies ein Scherz sei. Doch er begegnete nur demütigen, ehrfürchtigen und hoffnungsvollen Blicken.
    Kleine Glöckchen wurden geschlagen. Die prunkvoll gekleideten Männer und Frauen stimmten ein Loblied auf den »König, der aus der Ferne kam« an.
    Das Mädchen hob den Kopf und wies auf den Kampfwagen. Mythor folgte der in der Geste liegenden Aufforderung wie ein Schlafwandler.
    Ein einmalig schöner Sattel lag auf dem Wagen, mit weißem Pelz überzogen und mit einem zu einem Löwenhaupt gearbeiteten Vorderzwiesel aus edlem Holz. Der Löwenkopf fand sich auch auf der roten, weichledernen Decke. Zögernd streckte Mythor die Hand aus und fuhr fast zärtlich über den Pelz, die Satteltasche aus hartem Leder, die vielen ledernen Tragschlaufen für Waffen und andere Dinge, die ein Reiter mit sich führte.
    Nein, erkannte Mythor. Es war kein Traum. Die Leoniter sahen ihn an und lächelten. Sie erwarteten, dass er diesen Sattel, der wahrhaftig für Könige gemacht war, nahm und Pandor auflegte.
    »Wie heißt du?« fragte er das Mädchen mit dem schwarzen, geflochtenen Haar.
    »Ich bin Viliala, die auserlesen wurde, den neuen König zu begrüßen«, antwortete sie lächelnd.
    »Viliala, ich bin nicht.«
    »Du bist der, der uns verheißen wurde, König Mythor. Lass Freude Einkehr finden in die Herzen deiner Untertanen, und nimm den Königssattel an dich. Leg ihn dem Einhorn auf, und reite im Triumph in deine Stadt.«
    Sie erwarteten es von ihm! Sie erwarteten es wirklich!
    So vorsichtig, als könne er unter seinem Griff zerbrechen, hob Mythor den Sattel vom Wagen, und Pandor, der noch nie einen Sattel auf seinem Rücken geduldet hatte, ließ ihn sich auflegen, ohne zu scheuen.
    Noch einmal zögerte Mythor. Dann hörte er den Jubel, der von der Stadt her aufbrandete. Überall auf den Mauern standen Leoniter und winkten ihm zu. Mythor wurde von seinen Gefühlen überwältigt. Wie im Traum stieg er in den Sattel und ritt, gefolgt von der Prozession, in Leone ein. Das Stadttor war weit für ihn geöffnet, und an den Straßen standen weitere Hunderte von jubelnden Menschen, die ihn als ihren neuen König hochleben ließen. Blumengebinde und geflochtene Kränze wurden vor ihm auf das Pflaster geworfen.
    »Hoch lebe König Mythor!« erscholl es von allen Seiten. »Hoch lebe der neue König!«
    Mythor war außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Nur eines fuhr ihm immer wieder durch den Sinn, während er seine Blicke über die Jubelnden schweifen ließ: Wenn dies ein Traum war, würde er früher oder später aus ihm erwachen.







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