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Die Straße des Bösen

Die Straße des Bösen

Titel: Die Straße des Bösen
Autoren: Horst Hoffmann
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auf, als sie nun langsam weiterritten.
    Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten konnte Mythor erkennen. Die Lehmhäuser waren neben- und übereinander gebaut. Schmale Wege führten zwischen ihnen hindurch, weiter auf die Kuppe des Hügels zu, die sich den Blicken noch entzog. Vereinzelt stehende hohe Birken reckten ihre kahlen weißen Stämme erhaben dem Himmel entgegen.
    »Der Lilienhügel ist seit alters her ein heiliger Ort«, sagte Gapolo bereitwillig. »Eine Kultstätte, solange die Erinnerung zurückreicht. Vor langer Zeit wurde sie von den Sarronen errichtet, den Ureinwohnern dieses Landes. Für uns Salamiter, egal welchen Stammes, wurde sie Heldenfriedhof, Richtstätte und Kampfarena zugleich. Die meisten der Gebäude, die du siehst, sind Grüfte, in denen die Gebeine unserer toten Helden ruhen. Und noch im Tod sind sie erhaben.«
    »Sie werden einbalsamiert?«
    »In Lehm verpackt, ob sie nun aufgebahrt hierhergebracht wurden oder auf dem Hügel im Zweikampf fielen. Die Lehmform zeigt sie allen, die hierher pilgern, in ihrer im Tod eingenommenen Haltung.«
    Schweigend ritten sie weiter, bis sie die ersten Lehmbauten erreichten. Durch eine Gasse ging es weiter den Hügel hinauf. Der Boden war mit behauenen Steinen gepflastert, und dunkle Öffnungen klafften in den Bauten. Ein-, zweimal sah Mythor neugierige Augen auf sich und Gapolo gerichtet. Doch jene, die bei den Toten lebten und wachten, zeigten sich nicht noch nicht.
    Gapolo sah zum Himmel auf und lächelte wieder versonnen. »Wir haben uns eine gute Zeit ausgesucht«, sagte er.
    Mythor wurde hellhörig. Wir?
    Ein Verdacht beschlich ihn, ganz vage, aber der Gedanke, der Mythor kam, musste töricht sein. Dennoch: Wieso wurde er als Fremder nicht von dieser heiligen Stätte gewiesen? Oder war es üblich, dass diejenigen, die hier den Tod suchten, einen Begleiter mitbringen durften, der aller Welt von ihren letzten Augenblicken kündete?
    Mythor wünschte sich, mehr über die Sitten der Salamiter zu wissen. Wortlos ritt er hinter Gapolo den gepflasterten Pfad hinauf, bis die Lehmhäuser hinter ihnen zurückblieben. Nun, da er von oben auf sie hinabblickte, kamen sie ihm vor wie ein Wall um den eigentlichen Hügel, durch den keiner gelangen sollte, der nicht befugt war, die Kultstätte zu betreten. Und durch den keiner mehr zurückkommen sollte, der die heilige Stätte betreten hatte?
    Zu beiden Seiten des Pfades breiteten sich nun blühende Gärten aus. Blumen und Sträucher, die auch im Winter gediehen, rahmten große rechteckige Felder ein, auf denen zwischen Lilien geschliffene Steine mannshoch aus dem Boden ragten, mit allerlei Inschriften versehen.
    Der Weg führte geradlinig auf die Kuppe zu. Als ein anderer ihn kreuzte, hielt Gapolo sein Pferd an und deutete mit ausgestrecktem Arm nach links. »Die Totenweiber«, sagte er.
    Ganz in Weiß gehüllte Frauen kamen in einer Prozession heran, eine seltsam eindringliche Melodie summend. Erst jetzt sah Mythor den Salamiter, der ihr Ziel war.
    Vornübergebeugt kauerte er zwischen blühenden Lilien. Auf den ersten Blick wirkte er wie einer, der in ein stilles Gebet versunken war. Dann sah Mythor die schmale Klinge, die aus seinem Rücken ragte, und die Hände vor seinem Leib, die noch im Tod den Griff des Schwertes umklammerten, mit dem er sich selbst gerichtet hatte.
    Mythor erschauerte. Die Totenweiber erreichten den Selbstmörder und begannen, sich an ihm zu schaffen zu machen.
    »Was sind das für Frauen, Gapolo?«
    »Sie hausen zeitlebens hier«, antwortete der Worsunge. »Sie sind es, die die Toten salben und zur letzten Ruhe betten.« Gapolo lächelte. »Ich kenne diesen Mann nicht. Er gehört einem anderen, weit von hier beheimateten Stamm an. Doch die Todesart, die er für sich wählte, ist die gleiche, die auch ich für
    mich bestimmt habe.«
    Sie ritten weiter bergauf, während die Totenweiber einen klagenden Gesang anstimmten. Mythor sah sich nach Hark um. Offensichtlich wartete der Bitterwolf unten vor den Lehmhäusern auf ihn, und auch Mythor sehnte den Augenblick herbei, in dem er wieder auf dem Weg fort von hier war.
    Andererseits berührte ihn der vollkommene Friede, der von hier ausstrahlte. Dieser Ort war eine Insel in einer Welt des Kampfes, der Umwälzungen und der allgegenwärtigen Angst.
    »Es leben nur diese Weiber hier?« fragte Mythor nach langem Schweigen. Sie begegneten niemandem mehr. Nur an einigen Stellen auf den gepflegten Feldern waren Frauen dabei, den Boden von Unkraut zu
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