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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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Kapitel
    Am Abend in der grauen Dämmerzeit nach Sonnenuntergang geschieht an der Cannery Row etwas Sonderbares. Den Berg herab, am Palace vorbei, den Hühnersteig hinunter und über den leeren Platz kommt ein alter Chinese. Er trägt einen alten flachen Strohhut, blaue baumwollene Hosen und Jacke; an seinen schweren Schuhen ist eine Sohle los und klatscht beim Gehen auf den Boden. In der Hand trägt er einen zugedeckten, aus Weiden geflochtenen Korb. Sein Gesicht ist hager und braun und rissig wie getrocknetes Rindfleisch. Auch seine alten Augen sind braun, selbst die Augäpfel, und liegen so tief, daß man meint, sein Blick käme aus Höhlen.
Mit der Dunkelheit kommt er über die Straße, geht zwischen dem Western Biological und der Hediondo-Konservenfabrik zum Strand und verschwindet zwischen den Pfeilern und stählernen Stützen der Landungsbrücken. Bis zur Morgendämmerung sieht ihn niemand wieder.
Aber in der Morgendämmerung, wenn die Straßenbeleuchtung erlischt und der Tag noch nicht da ist, kriecht der alte Chinese zwischen den Pfeilern hervor und wandert über den Strand und die Gasse. Sein Weidenkorb trieft. Die lose Schuhsohle klatscht auf den Boden. So geht er bergan bis zur Second Street, tritt durch das Tor eines hohen Bretterzaunes und wird nicht mehr gesehen - bis zum Abend. Die Leute hören im Schlaf seine klatschende Sohle und werden einen Moment wach. Das geht so seit Jahren, doch keiner hat sich daran gewöhnt. Einige denken, es ist Gott, und sehr alte Leute meinen, es ist der Tod. Kinder sehen in ihm einen komischen alten Chinesen; Kinder halten ja meist etwas seltsames Altes für komisch. Sie necken ihn trotzdem nicht und rufen auch nicht hinter ihm her. Ein Wölklein Ehrfurcht umschwebt ihn.
Einmal aber geschah es, daß ein kecker und schöner Knabe mit Namen Andy den Weg des alten Chinesen kreuzte. Andy kam aus Salinas; er war nur zu Besuch in Monterey, und als er den Alten erblickte, stand für ihn fest, er müsse jetzt etwas hinter ihm her rufen, sei es auch nur aus Selbstachtung. Aber sogar der kecke Andy verspürte das Wölklein Furcht.
Furcht und Kühnheit kämpften in ihm, wenn er den Gelben Abend für Abend auftauchen sah, und endlich faßte er sich ein Herz, marschierte hinter ihm her und sang schrill:

»Ching, chong, Chinaman
hockte auf dem Topf.
Kam des Wegs ein weißer Mann,
schnitt ihm ab den Zopf!«

Da blieb der Alte stehen und wandte sich um. Seine tiefen, braunen Augen waren auf Andy gerichtet, die rissigen dünnen Lippen bewegten sich.
Was nun geschah, konnte Andy niemals erklären und nie vergessen. Die Augen weiteten sich und breiteten sich aus, bis nichts mehr von dem Chinesen zu sehen war. Da war nur noch ein einziges Auge, groß wie ein Kirchentor, und als Andy in das braune, durchsichtige, schimmernde Tor sah, gewahrte er eine meilenweite ebene Landschaft. Hinter ihr erhob sich eine bizarre Kette von Bergen; die sahen aus wie Köpfe von Hunden und Kälbern, einige auch wie Pilze und Zelte. In der Ebene aber wuchs niedriges rauhes Gras; da und dort waren Erdhäuflein, und auf jedem saß etwas, das sah aus wie ein Murmeltier. O diese Einsamkeit, dieses trostlose kalte Alleinsein...
Andy schluchzte. Denn niemand war mehr auf der ganzen Welt. Er war ganz allein.
Er schloß die Augen, um die Einsamkeit nicht zu sehen, und als er sie wieder öffnete, stand er auf der Cannery Row, und des alten Chinesen Schuhsohle klatschte den Boden zwischen der Hediondo-Fabrik und dem Western Biological.
Andy war der einzige Junge, der je so etwas tat, und er tat es nie wieder.

5. Kapitel
    Das Western Biological lag gegenüber dem leeren Platz, und wenn man zu seiner Haustür heraustrat, hatte man halb rechts Chongs Kramladen und halb links Doras Flotte Flagge. Es führt die herrlichsten, seltsamsten Waren, die schönen Tiere des Meeres, Schwämme, Manteltiere, Meeranemonen, grünliche Schlangensterne, Seeigel und Seesterne, Sonnensterne, Muscheln, Seepocken, Würmer, die vielgestaltigen märchenhaften Geschwister der Tiefsee, Nudibranchien und Tectibranchien, die stacheligen und warzigen Seeigel, Taschenkrebse und Krabben, die kleinen Drachen, die schnappenden Garnelen und die Gespenstergarnelen, die so durchsichtig sind, daß sie kaum einen Schatten werfen. Auch Käfer und Schnecken und Spinnen gibt es im Western Biological zu kaufen; Klapperschlangen und Ratten, Raupen und Bienen, alles ist vorhanden, sogar ungeborene Menschenkinder, einige vollständig, andere zwischen
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