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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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Jungens tranken den Whisky, sie waren ja nicht verrückt, aber ihr ganzes Gespräch bestand nur aus »Wohl bekomm's!« und »Gott vergelt's!«. Da kehrte denn William bald wieder in die Flotte Flagge zurück und beobachtete die Clique von seinem Fenster aus und hörte Mack die Stimme erheben: »Zuhälter sind mir zum Kotzen!« Dabei stimmte das gar nicht, es war nur so hingeredet, aber William wußte es nicht.
Mack und die Jungens mochten ihn bloß nicht, das war alles.
Ihm aber brach es das Herz. Selbst für die Stromer war er ein Paria...! Er hatte von jeher zu Selbstanklagen und Selbstverachtung geneigt. Er nahm seinen Hut und ging den Strand entlang bis zum Leuchtturm. Dort befand sich ein kleiner Friedhof; William stand in düsteren Gedanken. Niemand mochte ihn, keiner achtete oder kümmerte sich um ihn. Und wenn man ihn auch Nachtwächter hieß - er war ein Zuhälter, ein elender, schmieriger Zuhälter, das Verächtlichste auf der Welt. Und dann dachte er, daß er doch auch ein Recht habe zu leben, ja, das hatte er!
Zornig begab er sich auf den Rückweg, aber sein Zorn verging, als er sich dem Restaurant Flotte Flagge näherte und die Treppe emporstieg.
Es war Abend. Der Musikautomat spielte Harvest Moon . Da gedachte William der ersten, die ihm einst Augen gemacht hatte.
Sie hatte dies Lied sehr geliebt und war ihm dann weggelaufen, hatte geheiratet, und er hatte sie nie wiedergesehen. Der Song machte ihn todsterbenstraurig.
Im Hinterstübchen saß Dora bei einer Tasse Tee, als der Nachtwächter eintrat. »Was gibt's?« fragte sie. »Bist du krank?«
»Nein«, antwortete William. »Wann bekomme ich übrigens meine Prozente?... Mir geht's saumäßig; ich möcht' mich am liebsten auf der Stelle erschießen.«
Dora waren im Laufe der Zeit schon viele Neurotiker untergekommen. Bloß nicht ernst nehmen! war ihre Devise, und daher bat sie: »Mach das aber in deiner dienstfreien Zeit, und verdrecke mir dabei die Teppiche nicht!«
Dieser Zuspruch legte sich wie eine feuchtgraue Wolke um Williams Gemüt; er wankte langsam hinaus, in die Halle hinunter und klopfte an Eva Flanagans Tür.
Eva war rothaarig und ging jeden Sonntag zur Beichte. Sie war aus guter, großer Familie, fromm, doch eine unbekehrbare Säuferin. Als William hereinkam, lackierte sie sich die Nägel und verschmierte sie sich vor Schreck. Und wenn William es nicht schon gewußt hätte, daß sie in Hoffnung war, hätte er es ihr jetzt ansehen können. Ihre Finger waren bis zum ersten Glied voller Nagelpolitur. Das ärgerte sie. Schwangere Mädchen ließ Dora nicht arbeiten, und das ärgerte sie noch mehr. »Was willst du?« schrie sie ihn an.
»Ich will mich erschießen!« brüllte er wütend zurück.
»So eine lausig verruchte, stinkende Sünde!« keifte sie los. »Das sieht dir ähnlich, jetzt drückst du dich, nichtsnutziger Bastard! Gerade, wo ich genügend zusammen habe, um nach East St. Louis zu fahren.« Sie tobte noch, als er die Tür wieder hinter sich zugemacht hatte und sich auf dem Wege zur Küche befand, zu dem griechischen Koch. Die Weiber hatte er gründlich über.
In der großen weißen Schürze, die Ärmel aufgerollt, stand der Grieche vor zwei Pfannen; darin schmorten Schweineschnitzel, die er mit einem Spieß wendete. Das zischte und spritzte, und der Koch fragte: »Na, Billie, wie steht's?«
»Ich weiß nicht, Lou, manchmal denke ich mir, es ist das beste, ich mache - klack!« Dabei fuhr er sich mit dem Finger quer über die Kehle.
Der Grieche legte den Spieß auf den Herd, rollte die Ärmel höher und bemerkte: »Mein lieber Bill, da kann ich nur sagen, und das hab' ich schon oft gehört: Leute, die davon reden, tun es nicht.«
William langte derweil nach dem Spieß und wog ihn, als sei es zum Spiel. Dabei sah er tief in Lous dunkle Augen und las darin Unglauben und Spott. Doch wie er so in sie hineinstarrte, änderte sich der Ausdruck der griechischen Augen, wurde verwirrt, verstört, entsetzt, und als William das sah, erkannte er: Jetzt merkt der Grieche, daß ich dazu imstande bin, und jetzt - jetzt weiß er, ich tue es.
Und weil er dies in den Augen des Griechen las, wußte William, daß er es tun müsse, unbedingt, obwohl es ihm nun dumm vorkam. Seine Hand hob sich. Der Spieß drang in die Herzgegend, und zwar erstaunlich leicht.
William war Alfreds Vorgänger gewesen. Alfred war sogleich bei allen beliebt. Er durfte jederzeit auf der Röhre bei Mack und den Jungens Platz nehmen; er konnte sie sogar in ihrem Palace besuchen.

4.
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