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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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zog die Strümpfe über die Zehen und hörte, während sein Blick auf dem Trümmerwerk ruhte, von der Oberstadt her das Geläute der Kirchenglocken. Als das Wasser im Boiler zu sieden begann, ging er ins Bad, nahm eine heiße Dusche, rieb sich ab, zog ein Flanellhemd und Jeans an und ging über die Straße. Lee Chong hatte geschlossen, sah jedoch, wer vor der Tür stand, öffnete und entnahm seinem Eisschrank, ohne zu fragen, zwei Flaschen Bier. »Wa' es schön?« fragte er, als Doc bezahlte.
»Sehr schön«, antwortete dieser, kehrte mit dem Bier in sein Labor zurück, bestrich zwei Brote mit Nußbutter und verzehrte sie zu dem kühlen Morgentrunk.
In tiefer Ruhe lag die Straße. Kein Mensch kam vorüber. In seinem Schädel hörte Doc eine Musik wie von Bratschen und Celli. Er aß, trank und lauschte, ging, als er fertig war, in die Küche, machte den Ausguß von Tellern und Platten frei, ließ heißes Wasser laufen, schüttelte Seifenflocken hinein, daß der weiße Schaum aufwallte, las alle unzerbrochenen Gläser zusammen und stellte sie in das Seifenwasser. Die Teller voll Soßereste und Fett stapelte er auf dem Herd und machte auf dem Küchentisch Platz für frisch gewaschene Gläser. Hierauf schloß er die Tür zum Hinterzimmer auf und holte von dort ein Album gregorianische Kirchenmusik.
Er legte ein Vaterunser und Agnus Dei auf und schaltete ein.
Körperlos reine, engelhafte Stimmen erfüllten das Labor mit unsäglicher Süße. Dabei setzte Doc seine Arbeit fort, sorgte jedoch behutsam dafür, daß die Gläser nicht gegeneinanderklirrten und die Musik nicht beeinträchtigten. Die Knabenstimmen trugen die Melodien hinauf und hinab, schlicht und einfach und dennoch in einer Fülle, wie sie keinem anderen Gesang innewohnt.
Als die Platte zu Ende war, trocknete Doc sich die Hände und stellte ab. Dabei gewahrte er das Buch.
Es war halb unter sein Bett geraten. Er hob es auf und ließ sich damit auf dem Bettrand nieder. Erst las er für sich, bald aber bewegten sich seine Lippen. Dann las er laut. Langsam, nach jeder Verszeile innehaltend, sprach er die Worte:

Immer noch
Ist es wie Kommen und Reden von Weisen auf hoher Warte,
Die ihre Jugend versinnen. O wie ich harrte
Vergebens! Meines Mädchens Gekose, wie war es weiser
Vor dem Einschlafen, wenn sein Gemurmel leiser
Die Farben vermengte und
Es kleine weise Worte und witzige Worte versprengte,
Wie Wasser vertaut, auch das geweihte.

Im Ausguß der weiße hohe Schaum kühlte ab, die Blasen tickten beim Zerplatzen. Unter den Stützpfeilern des Vorbaus warf eine Springflut die klatschenden Wellen hoch wie seit langem nicht.

Immer noch
Dünkt mich, ich liebe Rosen, Zypressen,
Weitsichtig Gebirg und niederer Hügel Vergessen,
Das Rauschen der See. Nie aber war ich so reich,
Als fremdartige Augen kamen und Hände, Maifaltern gleich,
Und früh schon war es, da der Zauber begann.
Lerchen hoben sich hoch aus dem Thymian,
Und Kinder kamen baden im Silberwasser.

Immer noch
Dünkt mich, ich habe den heißen Geschmack aus dem
Leben gepreßt,
Grüngoldne Pokale hob ich beim Fest
Nur für kurze vergeßne versunkene Zeit,
Dann hatte ich Tränen, mein Mädchen war weit,
Doch ewiges Licht strömte aus ewigem Wort.

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Und es hetzten und huschten die weißen Ratten in ihren Käfigen, und die Klapperschlangen lagen still hinter dem Glas und starrten mit ihren fahlen, drohenden Augen in die Luft.
 
ENDE
     
     
     
     
     

     
     
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