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Die im Dunkeln

Die im Dunkeln

Titel: Die im Dunkeln
Autoren: Ross Thomas
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1. Kapitel
    An Heiligabend 1992 kam um 19.33 Uhr der Mann mit zinngrauem Haar in Wanda Lous Waffenladen in Sheridan, Wyoming, und tat so, als ob er Edd Partain, den geschaßten Army-Major und angestellten Waffenverkäufer, nie gesehen hätte.
    Draußen, genau 21,8 Meilen südlich der Grenze zu Montana, war es kalt und trocken: beide Werte um die zehn, einer davon minus. Trotzdem trug der Mann mit dem kurzen grauen Haar etwas, was ein Manager unten in Denver oder sogar Santa Fe hätte tragen können – einen leichten Mantel aus Wolle mit Raglan-Ärmeln und konservativem Hundszahnmuster. Die Füße steckten in schwarzen Slippern mit dünnen Sohlen, schon weitgehend ruiniert von Sheridans zwei Fuß tiefem dreckigen Schnee.
    Edd Partain ließ den Grauhaarigen sich fast zwei Minuten lang umsehen, bevor er ein höfliches Räuspern und dann eine ebenso höfliche Frage äußerte: »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    Der Mann nickte, schaute aber Partain noch immer nicht an. »Ich brauche ein oder zwei Geschenke, auf den letzten Drücker«, sagte er zu einem Stapel angeblich kugelsicherer Westen. »Haben Sie ne Idee?«
    »Kommt drauf an«, sagte Partain. »Für Mami, die Missis oder die Freundin wär die Walther PPK nicht schlecht – Kaliber fünfundzwanzig, ziemlich selten, hoher Sammlerwert, natürlich das Westentaschen-Modell neunzehnhundertdreizehn, trägt nicht auf. Für den lieben alten Daddy vielleicht eine PurdyFlinte nach Maß; könnten wir in London bestellen, aber da hätten wir gern fünftausend Dollar Anzahlung, und geliefert wird sie so in zwei, drei oder sogar vier Jahren. Aber Daddy weiß Ihre Großzügigkeit bestimmt zu schätzen und kann die jahrelange Vorfreude auskosten.«
    DerMann wandte sich von den kugelsicheren Westen ab, ging langsam zur Theke, stützte sich mit beiden Händen auf die Glasplatte und starrte den Ex-Major mit Augen an, deren Farbe und Wärme, wie Partain registrierte, immer noch Flußeis bei beginnendem Tauwetter ähnelten.
    »Ich war nicht ganz sicher, daß Sie’s sind, Twodees«, sagte der Mann. »Erst als Sie das Maul aufgemacht haben und die Scheiße da rauskam.«
    »Und ich hätte Sie kaum wiedererkannt, Captain Millwed, mit all den neuen grauen Haaren.«
    » Colonel Millwed.«
    »Mein Gott. Die Army würde doch nie – aber klar, doch, sie würde. Und sie hat. Glückwunsch.«
    Colonel Millwed ignorierte das suspekte Kompliment und sagte: »Ist Wanda Lou da?«
    »Wanda Lou ist wie Marley seit sieben Jahren tot. Der Laden gehört jetzt Alice Ann Sutterfield, Wanda Lous bezaubernder Tochter.«
    »Ist die da?«
    »Erst am zweiten Weihnachtstag – Samstag.«
    Der Colonel wandte sich um, inspizierte den Laden noch einmal schnell, drehte sich dann wieder zu Partain und fragte: »Zahlt die bezaubernde Tochter irgendwas?«
    »Acht sechzig die Stunde«, sagte Partain. »Weil ich aber normalerweise eine Sechzig-Stunden-Woche mache – ohne Überstundensold, wie ich zerknirscht einräumen muß –, ist die Bezahlung in Ordnung. Für Wyoming. Außerdem sind meine Bedürfnisse gering, und ich befriedige sie selbst.«
    »Emerson, Über Masturbation ?«
    »Könnte auch von Thoreau sein.«
    »Und was hat Alice Ann gesagt, als Sie ihr alles über sich und die Army und den Rest erzählt haben?«
    »Sie hat nie gefragt, ich hab’s ihr nie aufgedrängt. Ich hab aber gewußt, daß die irgendwann mal jemand schicken, um’s ihr zu sagen – vielleicht nen pompösen Second Lieutenant frisch aus der Münze, an dem ein Colonel nen Narren gefressen hat. Oder, eher wahrscheinlich, nen Captain mit zu hohem Dienstalter. Deshalb war ich auch nicht überrascht, als Sie hier reingeplatzt sind; ich muß aber gestehen, ich fühl mich geschmeichelt, daß die nen Colonel geschickt haben, für den ... Vollzug.«
    »Keine Schmeicheleinheiten«, sagte Millwed. »Ich habe mich freiwillig gemeldet.«
    »Hätt ich mir denken können. Aber wieso jetzt? Wieso nicht voriges Jahr? Oder das Jahr davor? Oder in sechs Monaten?«
    »Kriegt ihr hier draußen die ›New York Times‹?«
    »Ja, aber ich kauf die nicht. Um au courant zu bleiben, nehm ich Sheridans spritziges Lokalblatt und den BBC World Service.« »Kein Fernsehen?«
    Partain schnitt eine Grimasse. »Meinen Sie wirklich, ich soll mir ne Glotze kaufen?«
    »Nur wenn Sie scharf auf Brände und Schlitzereien sind. Bleiben Sie bei der BBC. Die bringen das auch bald.«
    Partain blickte hoch zum Blechdach des alten Gebäudes, als ob er ein Leck suchte. »Kommt jetzt
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