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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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Lee ein Geizhals gewesen wäre! Das war er nicht, aber wenn jemand etwas ausgeben wollte, stand er ihm zur Verfügung. Er war, ohne sich dessen zu rühmen, der wichtigste Mann der Cannery Row, denn da gab es niemand, der ihm im Lauf der Jahre nicht Geld schuldig war. Doch drängte Lee Chong seine Schuldner nicht; nur wenn eine Rechnung zu groß wurde, sperrte er den Kredit. Lieber als daß sie den Berg hinauf in die Stadt gingen, zahlten dann seine Kunden oder versuchten es wenigstens.
Lee war rund von Gesicht und zuvorkommend. Sein Englisch war unmißverständlich, entbehrte jedoch des Buchstabens R.
Damals, als es in Kalifornien zu Chinesenverfolgungen kam, war immer wieder einmal ein Preis auf Lee Chongs Kopf ausgesetzt.
Er legte sich dann heimlich in ein Krankenhaus in San Francisco und wartete, bis alles vorüber war. Was er mit seinem Geld anfing, wußte kein Mensch. Vielleicht bekam er es nie. Möglicherweise bestand sein ganzer Reichtum aus Rechnungen, die nie bezahlt wurden. Immerhin lebte er nicht schlecht, und seine Nachbarn hatten vor ihm Respekt. Seinen Kunden traute er so lange, bis weiteres Vertrauen lächerlich war. Wenn er jedoch, was vorkam, im Geschäft einen Bock schoß, wußte er seinen Fehler so zu drehen und zu wenden, daß dabei doch noch ein Vorteil heraussah. So zum Beispiel bei der Geschichte mit dem »Palace Hotel und Grillroom«, die jeder andere als einen Reinfall betrachtet hätte.
In seinem Kramladen stand Lee Chong stets hinter dem Zigarrentisch, zu seiner Linken die Registrierkasse, zur Rechten die Rechenmaschine. Vor ihm unter Glas lagen die braunen Zigarren, die Zigaretten, die Bull Durham, Dukes Mixture, Five Brothers, und an der Wand hinter ihm standen auf Regalen die verschiedensten Flaschen der Marken Old Green River, Old Town House, Old Colonel und die Spezial-Hausmarke Old Tennessee, ein Whisky-Verschnitt, garantiert vier Monate »old«, sehr preiswert und unter dem Namen Old Tennis Shoes in der ganzen Gegend berühmt.
Nicht ohne Grund stand Lee Chong zwischen Whisky und Kunden. Oft hatten findige Köpfe versucht, sein Augenmerk auf einen andern Teil des Ladens zu lenken. Vettern, Neffen, Söhne und Schwiegertöchter hatten lange gelauert, doch niemals Lee den Zigarren-, Kassen- und Whiskystand preisgeben sehen. Die Glasplatte war sein Pult. Hier ruhten die fetten, weichen Hände.
Hier wanderten seine Finger gleich ruhelosen Würstchen. Ein breiter goldener Ehering am Mittelfinger der Linken war sein einziges Schmuckstück. Damit pochte er schweigend auf den Zahlteller, dessen Gummiriefelung längst abgewetzt war. Lees voller Mund war nicht ohne Wohlwollen, das Lächeln, das oft darüber hinhuschte, behäbig und warm. Er trug Halbgläser, und da er alles und jeden durch sie zu beäugen pflegte, bog er immerzu den Kopf nach hinten, vor allem, wenn er in die Ferne sah.
Aus der Rechenmaschine rechts holten seine emsigen Wurstfingerchen Zinsen, Diskont, Additionen und Subtraktionen hervor; seine freundlichen braunen Augen huschten wachsam von einem zum andern Ende des Ladens, und seine Zähne blitzten.
Eines Abends stand er wieder einmal an seinem Platz auf einer Schicht Zeitungspapier, die ihm die Füße warm hielt, und sann betrübt und humorvoll zugleich einem Geschäftsgewinn nach, den er am Vormittag erzielt und der ihm am Nachmittag wieder zerronnen war...
Wenn man aus Lee Chongs Kramladen herauskommt und quer über das grasbewachsene Grundstück zwischen den großen verrosteten Röhren durchgeht, die man in den Ölsardinenfabriken als unbrauchbar ausrangiert hat, dann stößt man auf einen ausgetretenen Pfad, der durch wucherndes Unkraut zu einer schwarzen Zypresse führt. Von dort geht der Weg über Bahngeleise und Stufen, den sogenannten Hühnersteig, hinauf zu einem niedrigen Gebäude, das seit langem der Aufbewahrung von Fischmehl diente. Es bestand aus einem einzigen großen gewölbten Raum und gehörte einem vielgeplagten Herrn namens Horace Abbeville, welcher zwei Frauen und sechs Kinder sein eigen nannte und es Jahre hindurch mittels Bitten und Überredung fertiggebracht hatte, bei Lee eine Schuld anwachsen zu lassen, die in ganz Monterey ihresgleichen suchte.
An jenem Vormittag war er in den Kramladen gekommen, und sein niedergeschlagen nervöses Gesicht war zusammengezuckt vor der ernsten Entschlossenheit, mit der Lee ihm entgegensah. Verzweifelt starrte er auf den Fettfinger, der auf den Gummi-Zahlteller pochte. »Ich glaube«, sagte er sanft, »ich bin Ihnen
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