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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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einen Haufen Geld schuldig.«
Lees Gebiß blitzte anerkennend, denn diese Art der Eröffnung war ihm neu. Er nickte bedächtig und wartete, was für ein Dreh da wohl herauskommen werde.
Horace befeuchtete mit der Zunge die trockenen Lippen von einem Mundwinkel bis zum andern und seufzte: »Ich will meinen Kindern nicht diese Schuldenlast hinterlassen. Sonst geben Sie ihnen sicher kein Päckchen Kaugummi mehr!«
Lee Chong widersprach nicht. »Haufen Geld«, murmelte er, und Mr. Abbeville fuhr fort: »Sie kennen doch mein Haus da oben, hinter der Bahn, den Schuppen, in dem das Fischmehl liegt...?«
Lee Chong nickte. Es war sein Fischmehl.
»Wenn ich Ihnen das Haus da oben gebe«, fragte Horace bedrückt, »ist dann zwischen uns alles im reinen?«
Lee legte den Kopf ins Genick und starrte Horace durch seine Halbgläser an. Während seine rechte Hand unruhig zu der Rechenmaschine hintastete, zog er im Geist Bilanz. Das Haus war nicht sehr stabil, aber das Grundstück konnte an Wert gewinnen, wenn sich eine Ölsardinenfabrik einmal vergrößern wollte!
»Schön«, sagte er endlich.
»Also, dann geben Sie mir meine Schuldscheine, und ich bescheinige Ihnen die Eigentumsübertragung.« Horace schien es eilig zu haben.
»Ich gebe Ihnen eine Quittung, daß alles bezahlt ist«, erklärte Lee, »dann blauche ich nicht die Papiele zu suchen.«
Sie beendigten ihren Handel mit einigen Gläsern Old Tennis Shoes, die Lee feierlich auftischte. Hierauf schritt Abbeville aufrecht quer über den Grasplatz an der dunklen Zypresse vorbei, über die Schienen, den Hühnersteig hinauf geradewegs in das Haus, das nicht mehr das seine war, und erschoß sich auf einem Fischmehlhaufen. Und, obwohl es nichts mit dieser Geschichte zu tun hat, keinem der Abbeville-Kinder, ganz gleich, ob es nun von der einen oder der andern Frau war, fehlte es künftig an Kaugummi.
Doch zum Abend zurück. Horace Abbeville lag auf der Bahre.
Im Leichnam steckten die Einbalsamierungsnadeln. Auf seines Hauses Stufen saßen eng umschlungen seine zwei Frauen. (Bis zur Bestattung waren sie gut Freund miteinander; dann verteilten sie ihre sechs Kinder untereinander, und keine sprach mehr mit der andern ein Wort.) Lee Chong aber stand hinter seinen Zigarren; die braunen Augen blickten gelassen nach innen, und seine Gedanken waren chinesisch. Er sagte sich, daß er an dem traurigen Vorfall nichts hätte ändern können, aber er wünschte, er hätte es vorher gewußt und hätte versucht zu helfen. Des Menschen Recht, sich den Tod zu geben, war für ihn unbestreitbar; diese Anschauung wurzelte tief in seinem menschlich duldsamen Gemüt. Aber manchmal könnte ein Freund die Ausübung dieses unverletzlichen Rechtes unnötig machen, dachte er bekümmert. Er hatte bereits die Kosten für das Begräbnis auf sich genommen und den Hinterbliebenen einen Wäschekorb voll Kolonialwaren geschickt.
Nun gehörte ihm Abbevilles Haus, mit seinem wohlerhaltenen Dach, dem festen Fußboden, zwei Fenstern und einer Tür. Allerdings war es voll Fischmehl und der Gestank nicht zum Aushalten. Lee erwog, ob er es nicht als Warenlager verwenden könnte, doch er verwarf diesen Gedanken; es lag zu weit ab, und jeder konnte durch eines der Fenster einsteigen.
Während er noch unschlüssig überlegte und den Gummiteller mit seinem Goldring beklopfte, öffnete sich die Ladentür, und Mack kam herein. Mack war der Anführer, Häuptling, Wortführer, Kumpan und in bescheidenem Umfang Ausbeuter einer kleinen Gruppe von Männern, welche keine Familie, kein Geld und weiter kein Streben hatten als Essen und Trinken und Wohlbefinden. Aber während die meisten Menschen auf der Suche nach Wohlbefinden sich selbst ruinieren und so ihr Ziel nicht erreichen, erlangten Mack und seine Freunde in aller Gemütsruhe die volle Befriedigung ihrer Wünsche und genossen ihr Leben.
Mack und Hazel, ein Jüngling von ungewöhnlicher Stärke, Eddie, der Aushilfsbarmann bei La Ida, Hughie und Jones, die gelegentlich Frösche und Katzen für das Western Biological fingen, wohnten zur Zeit auf dem Platz gegenüber Lee Chong in den großen verrosteten Röhren, das heißt, sie nächtigten dort, wenn es regnete. Bei schönem Wetter hausten sie am Ende des Grundstücks im Schatten der dunklen Zypresse, deren untere Äste sich baldachinartig herunterbogen. Da lagen die fünf in aller Ruhe und schauten gelassen auf das Hasten und Treiben von Cannery Row.
Wenn Mack den Laden betrat, gab es Lee stets einen leichten Ruck. Mit raschem Blick
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