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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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Gründen ist sie aber bei den verdrehten und geilen verheirateten alten Jungfern verhaßt, deren Ehegatten ihr Heim zwar achten, aber nicht lieben.
Dora ist eine großartige Frau mit flammend orangefarbenen Haaren und einer Vorliebe für nilgrüne Abendkleider. Sie hat feste Preise, verkauft keinen Fusel und duldet kein unsittliches Wort in ihrem Betrieb. Infolge Alters und anderer Gebrechen sind einige ihrer Mädchen nur wenig beschäftigt, aber Dora setzt sie deshalb nicht vor die Tür. »Das paßt euch so«, bemerkt sie dazu. »Drei dicke Mahlzeiten täglich, aber keine drei Stöße im Monat!«
In einer Anwandlung von Patriotismus hatte Dora ihr Unternehmen auf den Namen »Restaurant Flotte Flagge« getauft.
Seitdem berichteten eine Reihe Anekdoten von ahnungslosen Leuten, die sich auf der Suche nach einem Schinkenbrötchen zu Dora verirrten. Zwölf Mädchen, die pensionierten inbegriffen, bildeten ihre Kerntruppe. Außerdem gab es da einen griechischen Koch und den Nachtwächter, dem alle schwierigen und delikaten Geschäfte oblagen, als da sind: Besoffene hinauszuschmeißen, Eifersüchtige zu trennen, Hysteriker zu beruhigen, Kopfschmerzen zu kurieren und Getränke zu mixen. Er verband Schnitt-, Hieb- und Stoßwunden, ging bei Tag mit den Polizisten spazieren, und da gut die Hälfte der Mädchen Christian Science anhingen, verlas er jeden Sonntagmorgen mit lauter Stimme den Wochenabschnitt aus Science and Health . Sein Vorgänger war keine so ausgeglichene Natur gewesen; er hatte ein trauriges Ende genommen, ich werde es nachher erzählen.
Alfred hatte es leichter gehabt und war über alle Anfechtungen Sieger geblieben. Er wußte, was er sich schuldig war, und sah auf den ersten Blick, wer hier richtig am Ort war und wer fehl. Die häuslichen Verhältnisse der Bürger von Monterey kannte er besser als irgendwer in der Stadt.
Was Dora anging, so führte sie ein widerspruchsvolles Dasein.
Da dieses, dem Buchstaben nach, gegen ein Gesetz und die »gute Sitte« verstieß, mußte sie alle anderen Gesetze und Sitten mit doppelter Strenge innehalten. Da durfte kein Unfug, kein Saufgelage, kein Krach und kein Faustkampf stattfinden, sonst würde man ihr Etablissement schließen, und vor allen Dingen mußte sie wohltätig sein. Von allen Seiten wurde sie angezapft. Wenn die Polizei zum Besten ihres Pensionsfonds einen Ball veranstaltete und jeder Bürger einen Dollar beisteuerte, mußte sie fünfzig stiften, und wenn die Handelskammer ihre Gartenanlagen verschönerte und die Kaufleute je fünf Dollar zeichneten, ging man Dora um hundert an, und sie rückte damit heraus, ohne zu murren. So ging es mit allem! Wenn die Pfadfinder, das Rote Kreuz oder der Hauspflegeverein sammelten, stand stets ein Prozentsatz von Doras schäm- und ruhmlosem, schmutzigem Sündenlohn obenan auf der Spendenliste. Von der Wirtschaftsdepression wurde sie schwerer als andere betroffen; sie sah die hungrigen Gassenkinder und ihre arbeitslosen Väter, ihre bekümmerten Mütter und beglich rechts und links zwei Jahre lang deren Rechnungen für Lebensmittel. Nur mit Mühe kam sie um den Bankrott herum.
Doras Mädchen waren wohlerzogen und heiter, und keine redete einen Herrn auf der Straße an, auch nicht, wenn er die Nacht zuvor bei ihr war.
Bevor Alfred sein Amt als Nachtwächter übernahm, hatte sich im Restaurant Flotte Flagge eine Tragödie abgespielt. Der damalige Nachtwächter hieß William, ein finster und einsam wirkender Mensch. Er war der Weibergesellschaft satt, und wenn er tagsüber müßig zu einem Seitenfenster hinausschaute, sah er Mack und die Jungens auf dem leeren Platz im Sonnenschein auf ihren Röhren hocken. Wilde Malven wuchsen um ihre baumelnden Beine. Sie diskutierten ausführlich über allerhand Dinge von Interesse und ohne Bedeutung. In gemessenen Abständen sah William sie eine Flasche Old Tennis Shoes aus der Hosentasche ziehen, mit dem Ärmel über den Flaschenhals wischen und einer dem anderen zutrinken. Er wünschte sehnlich, Anschluß bei ihnen zu finden, und ging daher eines Tages hinüber und setzte sich neben sie auf eine Röhre.
Die Unterhaltung brach ab. Feindseliges Schweigen entstand und dauerte an, bis William betrübt zur Flotten Flagge zurückkehrte. Da lebte die Unterhaltung sogleich wieder auf; er sah es durchs Seitenfenster, und es machte ihn noch trauriger. Er sah finster und vergrämt aus, sein Mund war verzerrt.
Am folgenden Tag ging er wieder hinaus, mit einer Flasche Whisky bewaffnet. Mack und die
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