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Der heilige Erwin

Der heilige Erwin

Titel: Der heilige Erwin
Autoren: Jasna Mittler
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    H inter den verschlossenen Toren des kleinen Sitzungssaals hält die Dreifaltigkeit ein Arbeitstreffen ab. Der Heilige Geist hat das Wort. Bereits seit Stunden berichtet er über seine Arbeit als Außenminister und über die neuesten Probleme, die beim Kontakt mit der Schöpfung aufgetreten sind. Ihm gegenüber thront Gott an seinem mächtigen Schreibtisch und hört aufmerksam zu. Jesus, der auf der Tischkante sitzt und die Beine baumeln lässt, träumt vor sich hin. Endlich beendet der Heilige Geist seine Ausführungen und sinkt erschöpft in sich zusammen: »Und das alles muss ich jetzt innerhalb der nächsten zwei Wochen erledigen. Ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht!« Dabei hat er gar keinen, denkt Jesus und grinst. Jetzt ist Gott an der Reihe. Er räuspert sich und lässt seine Stimme ertönen: »Schön. Ihr habt wirklich gut gearbeitet. Aber eine Sache gibt es noch zu erledigen. Erinnert ihr euch an das Projekt ›Erde‹?« Jesus schaut auf, hellhörig geworden. »Wir haben da wohl ein bisschen geschludert in den letzten, hm, zweitausend Jahren. Die Menschheit hat sich ausgebreitet. Es geht dort unten ziemlich chaotisch zu. Um es kurz zu machen: Ich möchte einen Bericht über die aktuelle Lage – in welchem Zustand ist der Planet, wie geht es den Bewohnern, das Übliche eben. Schaffst du das noch bis zum nächsten Mal?« Er richtet einen durchdringenden Blick auf den Heiligen Geist, der energisch abwinkt. Da meldet Jesus sich zu Wort: »Aber Vater, ich könnte doch …« – »Nix da. Du gehst mir da nicht mehr hin. Keine Widerrede!« Jesus verdreht die Augen. Dass der Alte immer so nachtragend sein muss. Dabei war es doch gar nicht seine Schuld, dass die Sache damals so schief gegangen ist! Aber Gott hat entschieden: »Dann muss ich die Arbeit wieder mal allein machen. Na schön. Ich werde versuchen, Kontakt mit den Menschen auf zunehmen. Und wenn alles nichts hilft, reise ich eben hinunter. In dem Fall wirst du, mein Sohn, hier meinen Platz einnehmen und die Neuankömmlinge begrüßen. Das nächste Mal zeige ich euch dann, was ein Bericht ist! So, hiermit erkläre ich die heutige Dreifaltigkeitssitzung für beendet. Auf zu neuen Taten, AMEN .« – » AMEN «, antworten die beiden anderen wie aus einem Mund, und die Versammlung löst sich in Luft auf.
    Gott macht sich unverzüglich an die Arbeit. Er meditiert ein wenig und lenkt dabei seine Aufmerksamkeit in Richtung Erde. Mit Freude entdeckt Er, dass die Men schen in der Zwischenzeit ein Kommunikationsmittel entwickelt haben, das es ihm erlaubt, ohne die Hilfe von Engeln mit ihnen in Kontakt zu treten. T-E-L-E-F-O-N nennt sich das Ding. Gott malt sich aus, wie er damit die ganze Arbeit bequem von zu Hause aus erledigen kann. Jesus und der Heilige Geist werden staunen, wenn Er ihnen so schnell Ergebnisse präsentiert! Bloß ein Problem gibt es noch: Wen um Himmels willen soll Er anrufen bei einer Bevölkerungsdichte von, Pi mal Daumen, sechs Milliarden? Da muss Er eine Entscheidung fällen!
    Gott begibt sich in die Werkstatt und öffnet den großen, alten Wandschrank, in dem Er die Modelle seiner Schöpfungen aufbewahrt. Ganz hinten im Fach mit den Planeten, eingekeilt zwischen einer etwas verblichenen Miniaturausgabe des Mars und dem ramponierten Modell der Venus wird Er fündig. Vorsichtig zieht Er eine kleine Kugel hervor und pustet die Staubschicht ab, sodass der »blaue Planet« seinem Namen wieder gerecht wird. Er legt den Globus auf seine Handfläche und stößt ihn an, dass er sich um die eigene Achse dreht. Nun wird es spannend. Bei geschlossenen Augen lässt Gott den Zeigefinger der anderen Hand auf die Kugel herabfahren und bringt sie dadurch zum Stillstand. Er schlägt die Augen auf, um zu sehen, welches Land Er getroffen hat. Seine Fingerspitze liegt auf … Deutschland!



2

    G ott nimmt in seinem Lieblingssessel Platz und bereitet sich auf sein erstes Telefonat vor. Er ist etwas auf geregt. Wie sich die Menschheit wohl entwickelt hat? Er wandelt seine Energien in elektromagnetische Strahlen um und schleust sich damit ins irdische Funknetz ein.
    Ein Tuten, dann meldet sich eine brüchige Frauenstimme: »Hallo?« – »Guten Tag, meine Dame, hier spricht Gott.« – »Wer ist da, bitte?« – »Gott!« – »Entschuldigen Sie, ich höre so schlecht. Könnten Sie etwas lauter sprechen?« – »Gott, meine Dame, Gott. G-O-T-T . Gott!!!« Sie zögert einen Augenblick, dann sagt sie: »Nein, da sind Sie aber falsch verbunden. Den
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