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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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Hut. Dann sah der Hund zu ihm empor und lächelte. Doc konnte, wenn es sein mußte, alles und jedes töten, doch ohne wissenschaftlichen Grund keiner Fliege etwas zuleide tun. Vor einer einzigen Sache hatte er Angst: sein Kopf könnte naß werden; er trug daher, ob Sommer, ob Winter, einen wasserdichten Hut. Er konnte bis zur Brust durch einen Tümpel waten, ohne daß ihn die Nässe genierte, doch ein Tröpfchen Regen auf seinen Scheitel regte ihn wahnsinnig auf.
Während einer Reihe von Jahren hatte Doc an der Cannery Row völlig zurückgezogen gelebt und war ein Quell der Weisheit, Kunst und Naturwissenschaft geworden. Doras Mädchen vernahmen aus seinem Laboratorium zum erstenmal gregorianische Kirchenmusik und Choräle, und Lee Chong hörte ihn auf englisch Li Po rezitieren. Durch ihn machte Henri, der Maler, die Bekanntschaft mit dem ägyptischen Totenbuch und war davon so beeindruckt, daß er seine Malweise grundlegend änderte.
Hatte er bisher mit Leimfarben, Rostkitt und farbigen Hühnerfedern gemalt, so wechselte er nunmehr die Technik von Grund auf und arbeitete mit verschieden getönten und zugeschnittenen Nußschalen.
Doc konnte sich jeden Unsinn anhören und ihn in etwas Sinnvolles verwandeln. Sein Denken kannte keine Schranken; seine Zu- oder Abneigungen konnte niemand beeinflussen. Mit Kindern sprach er über die tiefsten Dinge so, daß sie alles verstanden.
Er lebte in einer erregenden Wunderwelt. Er war lüstern wie ein Kaninchen und sanft wie ein Reh. Jeder, der ihn kannte, hatte ihm etwas zu danken, und wer an ihn dachte, dachte zuerst: Ich möchte ihm gern einmal eine Freude bereiten.

6. Kapitel
    Einen großen Teil seines Seegetiers pflegte Doc am Ende der Halbinsel im Großen Ebbetümpel zu sammeln. Ein bezaubernder Platz! Bei Flut ein brodelndes Becken, worin die einbrechenden Wellendämme den Schaum des Meeres brausend zu Sahne schlugen; bei Ebbe eine liebliche, in sich ruhende Welt.
Das Wasser ist durchsichtig klar. Am Grunde tut sich eine phantastische Welt von allerhand Lebewesen auf; sie schießen dahin, kämpfen, begatten und fressen einander. Krebse tummeln sich zwischen den Algen. Seesterne machen sich über Miesmuscheln und Napfschnecken her. Ihre zahllosen Saugfüßchen halten die Beute, heben und zerren sie hoch, brechen sie mit unglaublicher Kraft vom Gestein; dann schlemmen die Mägen der Seesterne. Nudibranchien, gefleckte, gekräuselte und orangefarbene, gleiten zierlich über Felsen dahin. Ihre Haut wogt wie die Röcke spanischer Tänzerinnen. Schwarze Aale stecken die Köpfe aus Spalten und lauern auf Opfer. Zehnfüßerkrebse schnappen, man meint, man müsse das Zuschnappen hören, doch diese farbige Lustwelt lebt schalldicht unter dem Glas der Oberfläche.
Einsiedlerkrebse spielen im Sand wie Kinder. Einer entdeckt ein leeres Schneckenhaus; es gefällt ihm anscheinend besser als seines, er schlüpft aus seinem Haus - entblößt einen Augenblick all seine sanften Weichteile feindlichem Angriff - und ist schon in die neue Schale geschlüpft!
Eine Woge bricht über die Böschung, zerschmettert den Wasserspiegel des Tümpels, schleudert ein Blasengetümmel hinein - dann wieder holde Stille mit Mord und Totschlag. Ein Taschenkrebs reißt seinem Bruder ein Bein aus. Einladend öffnen Meeranemonen ihre schimmernden Blumenarme - nur einen Moment will ein Krebslein darin verweilen, oder ein müder Herumtreiber erliegt der purpurnen und grünen Verführung, kommt näher, ganz nah - da schnellen die Blumenblätter nach innen, die nesselhaarigen Zellen schießen feine betäubende Nadeln in ihre Opfertiere. Sie werden schwach und schwächer, entschlummern, während der scharfe, brennende Verdauungssaft die kleinen Körper zum Schmelzen bringt.
Langsam, schleimig schleicht der Mörder Polyp, der Octopus, wie ein Nebel, ein grauer, hervor... Er tut, als sei er nur ein Stück Holz oder ein Klumpen faulenden Fleisches. Allein seine Augen halten Wache, böse und kalt. Er gleitet auf einen futternden Taschenkrebs zu; es glühen die gelben Pupillen. Die Körpersubstanz färbt sich rosig vor Gier in Erwartung des Fraßes. Wild springt er auf den Krebs, schwarze Flüssigkeit ausstoßend; die um sich schlagende Masse wird von einer Sepiawolke verhüllt, während der Octopus den Krebs ermordet. Auf den Felsen, die aus dem Wasser ragen, wachen Schwanenteichmuscheln in halbgeöffneten Schalen. Napf- und Schlüsselschnecken trocknen an der Sonne. Schwarze Schmeißfliegen summen um das Gestein; sie
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