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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen
Autoren: John Steinbeck
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sich seiner Wasserstiefel entledigt. »Das verstehst du nicht, Hazel«, besänftigte er den Erregten. »Henri liebt Boote, aber er fürchtet das Meer.«
»Wozu braucht er dann ein Boot?«
»Er braucht es nicht, er liebt es. Angenommen, er stellt es fertig! Gleich werden alle sagen: Ins Wasser damit! Wenn er es aber vom Stapel läßt, muß er damit auch in See stechen, und er ist wasserscheu. Das ist der Grund, weshalb sein Boot nie fertig wird.«
Hazel hatte zwar die Erklärung gehört, war aber nicht recht mitgekommen. Sein Geist war noch immer auf der Suche nach Anknüpfungspunkten. »Ich glaube, er spinnt«, lautete sein Schlußwort. Auf der schwarzen Erde, auf der das Eiskraut in Blüte stand, krochen Hunderte von schwarzen Kakerlaken herum. »Sieh doch mal all die Stinkkäfer!« Er war den Stinkkäfern dankbar für ihre Anwesenheit.
»Sehr interessant«, fand Doc.
Die Mehrzahl der Kakerlaken kroch mit emporgehobenem Sterz. »Warum zeigen sie mit dem Steiß in den Himmel?« fragte Hazel.
Doc streifte seine Wollsocken ab, steckte sie in die Wasserstiefel, entnahm seiner Jagdtasche ein paar leichte Sandalen und trockene Strümpfe und antwortete: »Das kann ich nicht sagen, es ist mir neulich auch aufgefallen. Es sind ganz gewöhnliche Tiere, und ihre gewöhnlichste Eigenschaft ist, daß sie das Hinterteil in die Luft recken. In der einschlägigen Literatur wird diese Tatsache weder erwähnt, noch viel weniger wird eine Ursache dafür angegeben.«
Hazel drehte mit der nassen Tennisschuhspitze einen Kakerlak auf den Rücken. Das schimmernd schwarze Insekt arbeitete sich mit zappelnden Beinchen mühsam wieder in die natürliche Lage.
»Was meinst denn du, warum sie mit dem Steiß in den Himmel zeigen?«
»Ich?« antwortete Doc. »Ich glaube, sie beten.«
»Wa-as?« Hazel war fassungslos, aber Doc erklärte ihm: »Daß sie den Sterz in die Luft strecken, ist nicht so merkwürdig. Es ist nur unglaublich bemerkenswert, daß wir es merkwürdig finden. Wir können diese Erscheinung nur nach uns selber beurteilen. Wenn wir etwas ebenso Wunderliches und Unerklärliches tun wollten wie diese Insekten, würden wir wahrscheinlich beten. Also ist es durchaus denkbar, daß die hier beten.«
»Um Himmels willen«, rief Hazel, »machen wir, daß wir hier wegkommen!«

7. Kapitel
    Das Palace Hotel entwickelte sich langsam zu dem, was es späterhin wurde. Als Mack, Hazel, Eddie, Hughie und Jones einzogen, war es für sie weiter nichts als ein Schutz gegen Regen und Wind, ein Unterschlupf, in den sie sich zurückziehen konnten, wenn ihnen nichts anderes übrigblieb. Denn das Palace war ursprünglich ein trostloser kahler Raum, dessen Tiefe von zwei winzigen Fenstern nur dürftig erhellt wurde. Die Wände waren aus nacktem Holz, und es roch immer noch furchtbar nach Fischmehl. Die Clique war durchaus nicht davon begeistert.
Da erkannte Mack den Segen organisierten Tuns, das ihn um so notwendiger dünkte, als es sich hier um eine Gruppe von eingefleischten Individualisten handelte. Und so wie eine mangelhaft ausgerüstete Armee zu Übungszwecken hölzerne Gewehre und kaschierte Kanonen und Tanks verwendet, damit die Rekruten nach ihrer Ausbildung sich im Feld auf die Handhabung richtiger Waffen verstehen, also erfand und schuf Mack fürs erste einmal Phantome von Betten.
Er zog mit einem Stück Kreide fünf Rechtecke auf dem Fußboden, ein jedes sieben Fuß lang und vier Fuß breit, und schrieb in jedes einen ihrer fünf Namen. Dies waren die Betten, und jeder der fünf besaß an dem ihm zugewiesenen Raum ein unverletzliches Eigentumsrecht. Er war berechtigt, jeden, der sich in sein Viereck verirrte, hinauszuwerfen. Der übrige Raum war Gemeingut aller.
Die ersten Tage hockten Mack und die Jungens auf den harten Dielen; hier spielten sie Karten, hier schliefen sie, und vielleicht hätten sie allzeit so weitergelebt, hätte nicht der Regen, der plötzlich einsetzte und über einen Monat lang anhielt, ihren Sinn völlig verändert.
Ans Haus gebannt, wurden die fünf es satt, sich Schwielen in den Hintern zu sitzen; ihre Augen wurden durch den Anblick der kahlen Wände beleidigt. Das Haus aber, das ihnen so treulich Schutz gewährte, wuchs ihnen unmerklich ans Herz, unter anderm auch deshalb, weil niemals ein grimmiger Hausherr drohend an seine Pforte pochte. Lee Chong ließ sich nicht blicken.
Eines Abends erschien Hughie mit einem Feldbett, dessen Gurte zerrissen waren. Zwei Stunden lang nähte er sie mit Schusternadel und Angelschnur
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