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Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen
Autoren: Juergen Banscherus
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steht«, sage ich.

    »Glaub ich nicht«, sagt Norden. »Der Junge ist doch quietschvergnügt.«
    Jonas habe schon vor dem Unfall wenig oder gar nicht gesprochen, sage ich. Vielleicht sei er bereits vorher verstummt.
    Norden zieht die Augenbrauen hoch. »Elektiver Mutismus? Ein Fall von selbst gewähltem Stummsein? Unwahrscheinlich. Aber wir können ja mal einen Psychiater hinzuziehen.«
    »Und du?«, frage ich. »Was glaubst du?«
    »Dass er uns verarscht«, antwortet Norden trocken. »Dass der Knabe was angestellt hat und uns jetzt alle ganz gewaltig verarscht.«

    Als ich am Abend nach dem Gespräch mit Norden zu dir komme, liegst du in deinem Zimmer auf dem Bett und schaust aus dem Fenster. Über den Himmel jagen Wolken, hinterm Katzenberg blitzt es.
    »Hallo, Jonas«, sage ich. »Alles in Ordnung?«
    Du drehst mir den Kopf zu und nickst.
    Ich greife in die Tasche meines Kittels und hole die dicke Schreibkladde mit dem chinesischen Einband heraus, die du jetzt in der Hand hältst. Dann schlage ich sie in der Mitte auf und beginne zu schreiben. Du fragst dich bestimmt, was das soll. Gleich wirst du es wissen.
    Nach einer Viertelstunde bin ich fertig.
    »Lies das«, sage ich. »Und lass dir Zeit dabei.«
    Der vordere Teil der Kladde besteht aus nichts als leeren Seiten. Aber ab der Mitte sind die Blätter eng beschrieben.

    »Von Anfang an«, fordere ich dich auf.
    Du zuckst die Achseln und beginnst zu lesen:

    Zwei laufen durch den Wald. Ein Mädchen und ein Junge.
    »Da liegt einer«, sagt der Junge.
    Das Mädchen beachtet ihn nicht.
    »Der ist hin«, sagt der Junge.
    »Du machst mir keine Angst«, sagt das Mädchen.
    Hinter den beiden stehen die Tannen dicht an dicht.
    Sie schlucken die Lichter der Schnellstraße, die durch den Wald hinunter nach Schwatten führt. Über den Bäumen wächst ein Sendemast in die Nacht. Eine Leiter führt zu seiner Spitze. Die eisernen Tritte sind in die Außenhülle des Mastes einbetoniert …

★ 2 ★
    »Und jetzt schreibst du den Anfang der Geschichte, Jonas«, sagt der Doktor, als ich mit dem Lesen fertig bin. »Schreib auf, wie alles begann.«
    Er streicht über die vollgeschriebenen Blätter. »Es ist gar nicht so schwer.«
    Damit geht er.
    »Jetzt schreibst du den Anfang der Geschichte«, hat er gesagt. Der hat gut reden. Der hat sich einfach hingesetzt und die Geschichte zusammengequirlt. Hat genommen, was er von diesem Kommissar Winter erfahren und was er mit mir hier im Krankenhaus erlebt hat. Den Rest hat er hinzuerfunden. Fantasie hat er, der Doktor.
    Obwohl - weiß er wirklich, wie ich mich fühle, wenn ich den Mund aufmache und nichts herauskommt? Wenn mir einer eine Frage stellt und ich nicht antworten kann? Wenn ich manchmal jedem in die Fresse schlagen könnte, der spricht? Nein, das weiß der Doktor nicht. Das weiß keiner hier auf der Station.
    Irgendwie cool, so ein Buch, das erst in der Mitte beginnt. Ich habe mit Lesen nicht viel am Hut, außer Computerzeitschriften lese ich eigentlich selten was. Ist mir zu langweilig. Das letzte Buch hat mir Kim geliehen. Irgend
so ein Krimi mit ein bisschen Liebe drin. Ich hab’s ihm nach den ersten dreißig Seiten zurückgegeben.
    Wie schreibt man eine Geschichte? In der Schule hat mir das keiner beigebracht. Der Dannenberg schon gar nicht. Der hat mir unter die ersten drei Aufsätze geschrieben: »Viel Fantasie, aber wenig Klarheit. Deshalb nur befriedigend (-).« Seitdem kriegt er von mir Aufsätze wie Gebrauchsanweisungen für Staubsauger. Die gefallen ihm.
    Wie fängt man eine Geschichte an?
    Es war einmal ein Junge, der hieß Jonas Klinger.
    Quatsch! Außerdem lebe ich ja noch. Oder:
    An einem regnerischen Ostersonntagmorgen wachte ich auf.
    Nee! Oder:
    »Jonas!«, rief die Frau. »Beeil dich, du kommst zu spät zur Schule!«
    »Lass mich in Ruhe«, knurrte ich. »Mir ist schlecht.«
    Grauenhaft!
    Wie fange ich an? Womit fange ich an? Was ist schuld daran, dass ich jetzt in diesem verpupsten Bett liegen muss? Etwa meine Geburt?
    Als ich auf die Welt kam, setzte ein Wolkenbruch die Straßen von Schwatten unter Wasser. Da wussten alle, dass aus mir etwas ganz Besonderes werden würde.
    Würg!
    In der Nacht wachte ich auf. Ich hörte Stimmen, Lachen. Jemand stöhnte. Das Stöhnen kam aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Nur komisch, dass meine Mutter am selben Tag zu einer Fortbildung gefahren war.

    Nein, damit kann ich nicht anfangen. Das kommt später. Vielleicht beginnt ja alles wie in der Geschichte von dem
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