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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon
Autoren: Heinz G. Konsalik
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I: Der Jadegipfel-Tempel
    Yang Ling war ein Bauer aus Changli, einem kleinen, armen Dorf mit Hütten aus geflochtenem Stroh, gestampftem Lehm und gebrannten Ziegeln; seine Dächer waren mit Steinplatten von den nahen Bergen gedeckt. Das Dorf lag auf der Hochebene von Lijiang.
    Er war ein alter Mann Anfang der Siebzig, mittelgroß und knöchern, und obwohl er sein Haus und seine Felder seinem ältesten Sohn übergeben hatte, schöne, fruchtbare Felder mit Kohl und Sojabohnen, Hirse, Erdnüssen und Ingwer, dazu die geschwungenen Reisterrassen, saß er nicht auf einer Bank vor dem Haus oder im Innenhof bei den Azaleenbäumen und sah seinen Schwiegertöchtern beim Teetrocknen oder den Enkeln beim Spielen zu, sondern beobachtete wachen Auges das tägliche Leben um sich herum. Es begann morgens um fünf und endete mit dem Zubettgehen. Sein Bett hatte den besten Platz im Haus: links hinter der Eingangstür; es stand allein und bot genug Platz, sich darin zu bewegen, denn dem Oberhaupt der Familie steht die größte Ehrfurcht zu.
    Lings Frühstück mußte immer aus Dampfbrötchen und einer Reissuppe bestehen, am Sonntag aus einem gebratenen Ei, eingelegtem Sojabohnenkäse, dem in keinem Haushalt fehlenden Tofu, einer scharfen Sojasoße; wenn sein Ehrentag war, stellte die Frau des ältesten Sohnes dem Oberhaupt eine eiserne Pfanne mit Dong Gu Cai Xin hin, das sind China-Pilze mit Kohlherzen, gedünstet in reinem Schweineschmalz. Dazu kam die große Thermoskanne mit heißem Wasser und dem Kästchen mit grünem Tee, ohne den sich Ling keinen Tagesanfang denken konnte.
    Nach dem Frühstück knöpfte Ling seine blaue Mao-Jacke zu, von der er sich trotz vieler Neuerungen der letzten Jahre nicht trennen mochte, ging in den Schuppen hinüber und umkreiste dreimal den dreirädrigen Kleintraktor, dessen Motor altersschwach knatterte und dessen lederner Treibriemen so zerfurcht aussah wie Lings Gesicht. Der Motor tat brav seine Pflicht, als wisse er, daß er das sichtbare Zeichen von Lings Wohlstand sei.
    Ling gehörte nicht zu den ganz Armen, die es ohnehin nicht im fruchtbaren Yunnan gab und schon gar nicht im Gebiet um Lijiang, der Heimat des Naxi-Stammes. Ling war ein freier ›Unternehmer‹, der mit seinem Traktor und zwei selbstkonstruierten Anhängern ein Transportunternehmen gegründet hatte, Steine zum Bau von Häusern, Dämmen, Mauern und Straßenbefestigungen herbeifuhr, Holzkohle oder Chinakohl auf dem Markt von Lijiang verkaufte und auch Hochzeits- oder Trauergäste auf der Plattform seiner Anhänger zu den Feierstätten schaukelte.
    Ling hatte es in seinem Leben zu etwas gebracht: Sein ältester Sohn war ein guter Bauer geworden, so wie er einmal einer gewesen war, und pflügte mit dem Wasserbüffelgespann die Felder, deren Furchen eine Augenweide waren. Der zweite Sohn hatte in Dali eine Schusterwerkstatt aufgemacht, hatte seinen Stand auf der Hauptstraße in Alt-Dali und war wohl der einzige Schuster weit und breit, der neununddreißig verschiedene Absätze, vierzehn verschiedene Sohlen, zweiundfünfzig verschiedene Eisenbeschläge und neunundzwanzig verschiedenfarbige Lederflecken anzubieten hatte. Er hatte sich sogar ein Moped der Marke ›Rote Fahne‹ gekauft, was das Höchste von einem Moped war. Der dritte Sohn handelte mit Fahrradersatzteilen, fuhr selbst die Marke ›Fliegende Taube‹, die zweihundertdreißig Yuan gekostet hatte, und wenn er einmal nach Changli zu Besuch kam und dem Vater eine Flasche Dongjiu-Schnaps mitbrachte, die Ling schlückchenweise wie eine Medizin trank, umringten die Kinder des Dorfes das Fahrrad und starrten Peixin – so hieß der erfolgreiche Sohn – ehrfurchtsvoll an.
    Der Bedeutendste der Yang-Familie aber war der vierte Sohn Huizi. Er war bis zur Provinzhauptstadt Kunming gekommen und so klug gewesen, der Kommunistischen Partei beizutreten, hielt Reden an das gemeine Volk und bekam dafür die Lizenz, in Kunming ein Dreiradtaxi zu fahren. Mit ihm knatterte er durch die staubigen Straßen und hatte sogar einen Platz am öffentlichen Taxistand. Er schickte jeden Monat fünfzig Yuan an die Familie in Changli, und jeden Monat gab es dieserhalb eine große Sippendiskussion, was am nötigsten mit diesem Geld angeschafft werden solle.
    Nun war von Huizi, dem braven Sohn, das Geld wieder angekommen, und Ling hatte in seinem geschnitzten Kästchen aus Kampferholz nachgezählt, wieviel Yuan man gespart hatte. Es war eine schöne Summe, mit der man etwas anfangen konnte, zum Beispiel
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