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Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen
Autoren: Juergen Banscherus
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Tatsächlich, jetzt lacht sie. »Nun hör aber auf, Jonas!«, ruft sie und fährt mir durch die Haare.
    »Komm, hilf mir abräumen.«

    Später liege ich in meinem Zimmer auf dem Boden und schaue aus dem schrägen Dachfenster. Die Sterne sind zu sehen, durchsichtige Wolken schippern vorbei. Warum haben meine Eltern kein Vertrauen zu mir? Warum können sie mir nicht sagen, was mit ihnen los ist? Verdammt, ich bin doch kein Daumenlutscher mehr!
    Plötzlich sehe ich einen Film vor mir, der irgendwann im Fernsehen gelaufen ist. Es ging da um irische Unabhängigkeitskämpfer und ihre selbst gebauten Bomben. Wie sie Gebäude in die Luft fliegen ließen. Wie sich englische Soldaten in ihrem Blut wälzten. Und wie es nach all dem Gerenne und Geschrei auf einmal still wurde, so still, als hätte einer die Welt angehalten. So still wie dort oben der Raum zwischen den Sternen.
    Am nächsten Tag kommt meine Mutter früher von der Arbeit nach Hause. Sie muss zu einer Fortbildung, irgendetwas mit Naturkosmetik, und hat noch zu packen. »Pass auf dich auf«, sagt sie zum Abschied.
    »Klar«, sage ich.
    »Und grüß Papa.«
    »Auch das.«
    »Morgen bin ich wieder da«, sagt sie.
    »Und Papa?«

    »Was ist mit Papa?« Ihre Stimme klingt verunsichert, ich täusche mich nicht.
    »Der hat heute Abend bestimmt wieder zu tun«, sage ich.
    »Ja, ja«, sagt sie. »Wenn es zu spät wird, gehst du ins Bett. Du brauchst nicht auf ihn zu warten.«
    In der Nacht wache ich auf. Ich höre Stimmen, Lachen. Jemand stöhnt. Hellwach schleiche ich auf die Galerie. Das Stöhnen kommt aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Im ersten Augenblick will ich hineinrennen, habe die Türklinke schon in der Hand. Aber dann wird mir plötzlich schlecht, so schlecht, dass ich es kaum noch zur Toilette schaffe.
    Als ich in mein Zimmer zurückkehre, ist im Haus alles still, wahrscheinlich haben sie die Klospülung gehört. Es dauert eine Weile, bis sich mein Atem beruhigt, bis meine Hände und Füße zu kribbeln aufhören.
    Dieses Schwein! Dieses verdammte Schwein! Mein Vater hat mich angelogen, hat eine Show abgezogen, keine Ahnung, wie lange schon. Und meine Mutter hat mitgemacht, da kann sie mir tausendmal was anderes vorspielen.
    Aber jetzt ist Schluss. Ich habe keine Lust, der Depp zu sein. Wie der Marko aus meiner Klasse. Dem hat seine Mutter beim Frühstück gesagt, dass sein Vater gerade ausgezogen ist. Als Marko mehr wissen wollte, hat sie ihm erzählt, dass sie wegen der Scheidung schon vor einem halben Jahr beim Anwalt gewesen sind. Dem Marko haben sie weiter das perfekte Paar vorgespielt, der hat geglaubt, alles ist in Ordnung.

    Mir wird das nicht passieren, mir nicht. Schließlich weiß ich jetzt Bescheid. Aber ich werde nicht mehr reden, das ganze Gelaber bringt ja doch nichts. Wenn ich rede, fällt mir sowieso nur die eine Frage ein: »Warum sagt ihr mir nicht die Wahrheit?«

    Am nächsten Tag haben wir die ersten beiden Stunden frei. Mein Vater lässt mich schlafen, ist auch besser so. Wahrscheinlich würde ich ihm sonst vor die Füße kotzen.
    In der Schule schweige ich - als Training für zu Hause. Nimmt mich ein Lehrer dran, zucke ich die Schultern. Versucht einer der anderen, mit mir zu reden, tue ich so, als hätte ich nicht zugehört. Es geht erstaunlich leicht, niemand zwingt mich zu sprechen. Der Jonas ist nicht gut drauf, denken sie, passiert schon mal.
    Als meine Mutter von der Fortbildung zurückkommt, ist sie vor Müdigkeit grau im Gesicht. Sie erzählt nichts, legt sich, nachdem sie das Gepäck ins Haus gebracht hat, auf die Couch und schläft ein. Ich setze mich in mein Zimmer und lese. Seit Langem mal wieder. Um einen zornigen Jungen geht es in dem Buch, um einen, der nicht weiterweiß, der nur noch um sich schlägt. Der sich jeden zum Feind macht, sogar den, der ihm helfen will. Der schreit, schimpft, zerstört. Der glaubt, mit seinem Ausrasten die Welt verändern zu können.
    Ich hätte ihm vorher sagen können, dass das nicht funktioniert. Er hätte es mit Stille versuchen sollen. Damit klappt es besser.
    Später lädt uns mein Vater zum Essen ein. Das hat
er früher oft getan. Dass es jetzt geschieht, überrascht mich nicht.
    Er hat ein schlechtes Gewissen, wahrscheinlich ist er nicht sicher, ob ich in der letzten Nacht was mitgekriegt habe. Das Bett war am Morgen frisch bezogen, die Fenster standen zum Lüften offen.
    Wir fahren zum Italiener. »LA GRAPPA« heißt der Laden. Es war mal unser Stammlokal. Früher, als wir das
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