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Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen
Autoren: Juergen Banscherus
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beschissene Haus noch nicht hatten.
    »Man muss die Feste feiern, wie sie fallen«, sagt mein Vater, während er sich durch die Speisekarte arbeitet.
    »Wieso?«, fragt meine Mutter. Sie hat sich geschminkt und sieht jetzt mindestens zehn Jahre jünger aus als noch vor einer Stunde.
    Mein Vater klappt die Speisekarte zu. »Seit heute bin ich Verkaufsleiter. Ist das nichts?«
    »Gratuliere, Siggi«, sagt meine Mutter. Sie scheint sich tatsächlich zu freuen.
    »Sekt!«, ruft mein Vater. »Sergio, bring uns eine schöne Flasche Spumante!«
    »Subito, maestro!«
    »Prost«, sagt mein Vater, nachdem der Kellner den Sekt gebracht hat. »Auf uns!«
    »Ja«, sagt meine Mutter. Und ich hebe wortlos mein Glas und stoße mit den beiden an.
    Beim Essen redet nur mein Vater. Er ist der Größte und mit jedem Glas Wein wird er ein Stück größer. Und weil er so furchtbar viel zu erzählen hat, bekommt er gar nicht mit, dass ich schweige.
    Am Ende ist mein Vater blau. Sergio und ich schleppen
ihn zu unserem Wagen, meine Mutter setzt sich hinters Steuer.
    »Hat’s dir geschmeckt?«, fragt sie, während wir am Schwattener Theater vorbeifahren. Die Vorstellung ist gerade zu Ende.
    Ob’s mir geschmeckt hat? Was habe ich eigentlich gegessen? Ich bewege die Zunge am Gaumen entlang. Irgendwas mit Lachs muss es gewesen sein.
    »Du bist heute nicht sehr gesprächig«, sagt sie und zündet sich eine Zigarette an.
    Ich nicke. Wenn sie jemand fragen wird, morgen zum Beispiel, ob ich an diesem Abend gesprochen habe, wird sie jeden Eid schwören, dass ich ein paar Mal was gesagt habe. Klappt richtig gut, die Sache mit dem Schweigen.
    Es wird noch dauern, bis sie kapiert, was los ist.
    »Freust du dich nicht, dass Papa befördert worden ist?«, fragt sie.
    Ist mir total egal, denke ich und zucke mit den Schultern. Währenddessen beginnt mein Vater zu schnarchen. Meine Mutter lacht. »Hoffentlich kriegen wir ihn heil ins Bett, Jonas.«
    Wir kriegen ihn. Nach der Fahrt ist er nicht mehr ganz so wacklig auf den Beinen. »Ein schöner Abend«, lallt er und versucht, zuerst meine Mutter, dann mich zu küssen. Beide drehen wir die Köpfe weg.
    Auch in dieser Nacht wache ich auf. Ich habe meine Zimmertür offen stehen lassen, keine Ahnung, wieso.
    Aus dem Schlafzimmer meiner Eltern ist lautes Stöhnen zu hören. Kein Lachen, nur Stöhnen. Diesmal kenne ich beide Stimmen. Wieder kriege ich das Kotzen.

    Ich verstehe meine Mutter nicht. Wie kann sie das nur tun? Wie kann sie mit diesem betrunkenen Schwein schlafen?
    Und mein Vater? Wie kann er an einem einzigen Tag von einer Frau zur anderen hüpfen? Oder brauchen meine Eltern das? Macht es ihnen sonst keinen Spaß mehr?
    Wieder tauchen in meinem Kopf die Bilder aus dem irischen Bürgerkrieg auf, die brennenden Häuser, die Explosionen, die Bomben. Ganz besonders die Bomben.
    Der nächste Tag ist ein Samstag. Als ich gegen zehn aufstehe, sind meine Eltern schon aus dem Haus. Komisch, sonst versuchen sie samstags immer auszuschlafen. Hunger habe ich nicht, ich muss mich bewegen, sonst drehe ich durch. Ich hole mein Rad aus der Garage und fahre los.
    Vor einem Café, nicht weit vom Zentrum, steht ein blauer Mini. Ich kenne den Wagen, es ist das Auto meiner Mutter. Durch die staubige Fensterscheibe sehe ich neben einem Garderobenständer eine Kellnerin stehen. Der Gastraum scheint leer zu sein.
    Ich will schon weiterfahren, da blitzt weiter hinten ein roter Rock auf. Genau solch einen Rock hat meine Mutter. Sie ist nicht allein, ein Mann sitzt ihr gegenüber. Soweit ich das erkennen kann, ist er älter als mein Vater, an seiner Hand glänzt ein dicker Ring. Und noch etwas fällt mir auf - die Knie der beiden berühren sich fast. Das muss nichts zu bedeuten haben. Aber seit der Nacht, in der ich meinen Vater mit der anderen Frau gehört habe, hat für mich alles etwas zu bedeuten.

    In diesem Augenblick dreht mir meine Mutter den Kopf zu. Ich sehe, wie sie den Mund bewegt und mir Zeichen gibt hereinzukommen. Ohne darauf zu reagieren, springe ich aufs Rad und rase davon.
    Also nicht nur mein Vater. Auch meine Mutter. Was sie mir wohl über den Mann im Café erzählen wird? Bestimmt wird sie sich eine gute Geschichte einfallen lassen. Lügen können meine Eltern, da sind sie Weltmeister.
    Am Stadtpark halte ich an, mir ist mit einem Mal übel. Hinter einem Gebüsch stecke ich mir den Finger in den Hals. Es nützt nichts. Außer bitterer Spucke kommt nichts heraus.
    Als ich mich aufrichten will, legt mir
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