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Die Stille zwischen den Sternen

Die Stille zwischen den Sternen

Titel: Die Stille zwischen den Sternen
Autoren: Juergen Banscherus
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Schmetterling, die ich mal gehört habe. Er lebte auf einer kleinen Insel im Pazifik. Eines Tages flatterte er heftiger als sonst mit den Flügeln. Und dieser Flügelschlag des kleinen Schmetterlings löste nach einer Kette von Ereignissen zweitausend Kilometer entfernt den fürchterlichsten Sturm aus, der Dörfer zerstörte und Menschen tötete.
    Vielleicht muss ich mich ja bloß an den Flügelschlag erinnern. An den einen Flügelschlag, mit dem alles anfing.

    »Du kommst mit«, sagt mein Vater.
    »Nein«, sage ich.
    »Und ob«, sagt er.
    »Nein«, sage ich.
    »Was hast du gegen Oma?«, fragt meine Mutter.
    »Nichts. Aber bei ihr ist es langweilig«, antworte ich.
    »Bitte, Jonas«, sagt meine Mutter. »Oma freut sich doch so.«
    »Nein«, sage ich. »Außerdem muss ich sie küssen. Wenn wir sie besuchen, will sie immer, dass ich sie küsse. Sie riecht.«
    »Riecht?«
    »Ja. Sie riecht alt.«
    »Sie ist alt«, sagt mein Vater.
    »Ich komme nicht mit«, sage ich.
    »Gut.« Er zieht seinen Mantel an. »Dann bleibst du
eben hier. Aber du räumst auf. Heute Abend ist alles an seinem Platz. Klar?«
    »Mhm.«
    »Ob das klar ist?«
    »Ja doch.«

    Das ist es. So fing es an.

    Mit meinem Zimmer bin ich schnell fertig. Es hat Einbauschränke und Regale bis unter die Decke. »Jungen brauchen Stauraum«, sagt mein Vater. Für den Keller brauche ich länger. In meiner Werkstatt stehen eine Drehbank und ein großer Tisch. Alles Mögliche liegt dort durcheinander. Zuletzt habe ich eine Fernsteuerung für eines meiner Modellflugzeuge gebaut. Seitdem sieht es hier so aus.
    Nach zwei Stunden habe ich es geschafft und hocke mich vor den Fernseher. Sie zeigen alte Filme, Sport und Talkshows. Aber allemal besser als ein Besuch bei Oma.
    Da klingelt das Telefon.
    »Ja?«, sage ich. Sonst nichts. Meinen Vater bringt das jedes Mal auf die Palme.
    »Du? Hast du Zeit?«, fragt eine Frauenstimme, die locker in jeden Porno passen würde. »Mir ist so kalt. Kannst du nicht für ein Stündchen rüberkommen und mich wärmen?«
    Ich schlucke. Selbst wenn ich sprechen wollte, könnte ich es nicht.
    »Bist du noch dran?«, ruft die Frau hektisch. »Du?«

    Dann legt sie auf. Und ich sitze da und schlucke. Mein Körper hat alle seine Flüssigkeit in meinen Mund geschickt, und ich muss sie schlucken, sonst ersticke ich.
    Ich schließe die Augen und sehe eine Frau vor mir. Eine nackte Frau mit großen Brüsten. Sie hält eine Zigarette in der Hand. Neben ihr steht mein Vater in seinem besten Mantel, in Anzug und Krawatte, aber ohne Schuhe und Strümpfe. Steht da und lacht. Lacht, wie er sonst nie lacht.
    Lacht, als hätte er gerade den Oscar gewonnen. Oder das Formel-1-Rennen in Monaco.
    Hör auf zu spinnen, Jonas, denke ich und reiße die Augen wieder auf. Die Frau hat sich verwählt, kann ja mal vorkommen. Die wollte jemand anderen sprechen. Die wollte von einem anderen gewärmt werden, nicht von Papa. Wenn ich sofort meinen Namen gesagt hätte, hätte sie gleich aufgelegt. Logisch. Ganz logisch. Ein guter Witz, die Geschichte.
    Und genauso erzähle ich sie am Abend.
    »Eine Frau hat angerufen«, sage ich zu meinem Vater.
    »Was hat sie gewollt?«, fragt er.
    »Ich sollte zu ihr kommen und sie wärmen«, antworte ich.
    »Wie bitte?«, ruft meine Mutter.
    »Ja«, sage ich.
    Ob die Frau ihren Namen genannt hat, will mein Vater wissen.
    »Nein«, sage ich, »sie hat gleich wieder aufgelegt.«
    »Wer kann das gewesen sein?«, fragt meine Mutter.

    Mein Vater zuckt die Schultern. »Da wird sich jemand verwählt haben.«
    Dann reden wir nicht mehr darüber. Mein Vater schaltet den Fernseher an, meine Mutter setzt sich neben ihn. Ein paar Mal schaut sie ihn von der Seite an. Anders als sonst. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
    Als die Geschichte beginnt, gehe ich in die achte Klasse. In der Schule sitzt Kim neben mir. Er stammt aus Korea, seine Eltern haben ihn adoptiert, als er noch ein Baby war.
    »Was ist mit dir los?«, fragt er in der Woche, nachdem diese Frau bei uns angerufen hat. Es ist große Pause.
    Weil es regnet, dürfen wir im Gebäude bleiben.
    »Was soll los sein?«
    »Du bist so komisch«, sagt Kim.
    »Quatsch.«
    »Wenn ich mit dir rede, hörst du nicht zu.«
    »Du spinnst ja.«
    »Tue ich nicht.«
    »Ach, vergiss es«, sage ich und drehe mich von ihm weg.
    Kopfschüttelnd geht Kim zu den Mädchen, die auf der Treppe vor der Schülerbücherei sitzen.
    Hätte ich ihm von dem Anruf erzählen sollen? Nein, er hätte bloß
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