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Die Macht

Die Macht

Titel: Die Macht
Autoren: Vince Flynn
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PROLOG
    Dr. Irene Kennedy stand an dem frischen Grab und weinte. Es war eine Beerdigung im kleinen Kreis gewesen; nur einige Verwandte und enge Freunde waren dabei gewesen. Die anderen hatten den windigen Friedhof bereits verlassen und fuhren in die Stadt zurück, um im Haus einer Tante gemeinsam zu essen. Die vierzig Jahre alte Direktorin der Antiterrorzentrale in der CIA wollte noch ein paar Minuten am Grab ihres Mentors allein sein. Irene Kennedy hob den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen, während sie in die Ferne blickte. Trotz der beißenden Kälte, die hier im Westen von South Dakota bereits herrschte, wollte sie den Friedhof noch nicht verlassen. Diese Augenblicke des Trauerns um den Mann, der ihr so viel beigebracht hatte, waren für sie ganz einfach notwendig. Danach würde sie nach Washington zurückkehren, wo ihr vielleicht die größte Prüfung ihres bisherigen Lebens bevorstand. In seinen allerletzten Tagen hatte ihr Stansfield immer wieder versichert, dass sie sich keine Sorgen machen solle und dass er alle nötigen Vorkehrungen getroffen habe. Sie würde seinen Platz als Direktor der Central Intelligence Agency einnehmen. Irene Kennedy wusste, dass die Sache damit noch nicht erledigt war, sie würde noch die Prozedur der Bestätigung abwarten müssen. Was ihr jedoch die größte Sorge bereitete, war die Frage, ob sie jemals eine würdige Nachfolgerin ihres alten Bosses sein würde, der in seinem Leben so viel geleistet hatte.
    Thomas Stansfield war an einem kühlen Herbstmorgen verschieden, im Kreise seiner Kinder und Enkel, und auch Irene Kennedy war in seiner letzten Stunde bei ihm gewesen, so, wie er es sich gewünscht hatte. Zwei Wochen vor seinem achtzigsten Geburtstag spürte Stansfield, dass er am Ende seines Lebenswegs angelangt war. Die letzten Tage hatte er nur noch still dagesessen und aus dem Fenster in den Garten hinausgeblickt, wo die letzten Blätter des Herbstes von den Bäumen fielen. Sein Geist war von einem sanften Morphiumschleier umwölkt gewesen, der die stechenden Schmerzen der Krebserkrankung betäubte, die sein Inneres auffraß.
    Thomas Stansfields Aufstieg an die Spitze der Central Intelligence Agency war der Stoff, aus dem Legenden sind. 1920 in Stoneville, South Dakota, geboren, wuchs er in einer Zeit auf, die für sein Land überaus schwierig war. Die sorglosen Tage seiner Jugend wurden von den allzu trockenen, heißen Sommern und den fürchterlichen Staubstürmen getrübt, die es mitunter mitten am Tage Nacht werden ließen. Dazu kam die große Wirtschaftskrise, von der auch Stansfields Familie nicht verschont blieb.
    Stansfields Eltern hatten sich bereits als Jugendliche kennen gelernt – in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als zahllose Einwanderer aus Europa ins Land kamen. Sein Vater stammte aus Deutschland, seine Mutter aus Norwegen. Schon als kleiner Junge hatte Thomas Stansfield fasziniert den Geschichten gelauscht, die ihm seine Eltern und Großeltern von ihren Heimatländern erzählten. In der Schule lernte er zwar Englisch, doch abends am Kamin unterhielten sich seine Eltern und Großeltern in ihren Muttersprachen miteinander. Thomas Stansfield war ein ausgezeichneter Schüler und zeigte im Gegensatz zu seinen Brüdern nie ein Interesse an der Arbeit auf der Farm. Er wusste, dass er eines Tages nach Europa gehen und sich auf die Suche nach den Wurzeln seiner Familie begeben würde. Als er mit siebzehn die Chance bekam, an die South Dakota State University zu gehen, zögerte er keinen Augenblick.
    Er gehörte im College immer zu den Besten, doch er verfolgte auch das Geschehen in der Welt schon damals mit großem Interesse. Während man sich in Amerika fast ausschließlich um die Angelegenheiten des eigenen Landes kümmerte, war sich Stansfield bereits der Gefahr bewusst, die der Welt durch den Aufstieg des Faschismus in Europa drohte.
    Auch Franklin Delano Roosevelt erkannte bereits früh das Ausmaß der Bedrohung, doch damals, in den späten Dreißigerjahren, konnte der amerikanische Präsident kaum etwas dagegen unternehmen. In Amerika war ganz einfach kein politischer Wille vorhanden, ins Weltgeschehen einzugreifen. Amerika hatte zu viele seiner Söhne im Ersten Weltkrieg verloren, sodass man nicht bereit war, schon wieder in einen Krieg einzutreten. Außerdem war das Ganze ein Problem der Europäer. Und so beschloss Roosevelt, zunächst einmal abzuwarten und das Land so gut es ging auf den Krieg vorzubereiten. Eine seiner Maßnahmen war es,
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