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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin
Autoren: Jeanine Krock
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Schwester dieses Wunder in so kurzer Zeit und von ihr gänzlich unbemerkt vollbracht haben konnte. Sie schaute Manon kritisch an, sollte etwa ihre Vermieterin etwas damit zu tun haben? Aber das war absurd. Wäre sie ebenfalls eine Feentochter, hätte Estelle dies bestimmt sofort gespürt. Schließlich gehörte eine außergewöhnliche Sensibilität zu ihren Talenten, auch wenn diese zur Zeit etwas willkürlich mit ihr verfuhren.
    Die Kücheneinrichtung, die Manon ihr nun präsentierte, unterschied sich im Stil wenig vom »Salon«. Aber auch hier würde sie sich wohlfühlen, befand Estelle nach einem Blick in die Runde, nachdem Manon sie auf einen Stuhl gedrückt und gezwungen hatte, den letzten Rest Tee mit ihr zu teilen.
    »Leider bin ich zum Monatsende immer ein wenig klamm«, sagte sie nach einem großen Schluck aus ihrer Tasse, die sie geschickt an dem Stummel festhielt, der vom Griff übriggebliebenen war.
    »Das ist kein Problem. Wenn du mir sagst, was fehlt, gehe ich einkaufen.«
    Manon schien erleichtert. »Wir gehen natürlich zusammen, der Supermarkt liegt ein wenig versteckt. Ich gebe dir das Geld später zurück!«
    »Nicht nötig, mein Schwager ist ein wahrer Blutsauger und dabei unanständig reich.« Estelle wedelte mit ihrer Kreditkarte. Ein wenig schämte sie sich, denn ihr Konto polsterte wenig Selbstverdientes. Andererseits, überlegte sie, wenn der Vampir schon versucht, mich zu bestechen, um mich loszuwerden, dann kann er ruhig ordentlich dafür bezahlen. Sie vermutete allerdings, dass ihre bescheidenen Einkäufe ihn nicht ernsthaft schädigen würden.
    Wenig später versuchte sie, mit Manon Schritt zu halten, aber die Stufen verlangten nach Übung, um sie geschwind zu nehmen. Sie lachte, das war eine Aufgabe, die sie bewältigen konnte – und zwar bald. Rasch holte sie auf und fast gemeinsam erreichten die beiden jungen Frauen den Innenhof. Schon beim Betreten der schmalen Gasse schlug ihnen der Lärm der Straße entgegen. Draußen wurde es noch lebhafter und Estelle rang um Fassung. Manon griff ihre Hand. Anstelle des erwarteten Schmerzes, den die Emotionen anderer in ihr auslösen konnten, fühlte sie sofort, wie ein ungewohnter Friede sie erfüllte. Die neue Freundin lächelte und führte Estelle zwischen Touristengruppen hindurch die Straße hinab. Unterwegs machte sie einen Abstecher in einen Innenhof, der ähnlich dem ihren eine Oase der Ruhe in all dem Getöse war. Von oben blickte eine gemalte Figur in Robe und Perücke auf sie herab. Das Pub, dessen Eingang dieses Holzschild zierte, nannte sich »Zum fröhlichen Richter«. Eine Frau mit langer Schürze, die eben die Stufen aus dem Lokal heraufkam, grüßte freundlich und servierte dann an einem der kleinen Tische, die vor der Tür standen. Ihr Gast hob ebenfalls kurz sein Kinn zum Gruß, machte sich aber dann über die stattliche Portion her, kaum dass sie vor ihm stand, und Estelle stieg ein appetitlicher Duft in die Nase. »Hierher verlaufen sich nicht allzu viele Touristen«, erklärte Manon, während sie den beiden zuwinkte. »Das Essen ist lecker, viele Gäste kommen aus der Nachbarschaft und, was ich besonders schätze, ich kann hier anschreiben!«
    Augenscheinlich hat sie wirklich wenig Geld, dachte Estelle und wollte sich gerade nach ihrem Broterwerb erkundigen, da hatten sie schon ein Geschäft mit schmaler Fensterfront erreicht. Die indische Göttin Shiva thronte darin, umgeben von glitzernder Golddekoration, die im Luftzug eines Ventilators flatterte, und exotisch beschrifteten Verpackungen, deren Inhalt die meisten Kunden wahrscheinlich nur vage erahnen konnten. Das war also der Supermarkt. Manon schob sie in ein unglaubliches Durcheinander von Waren, die man auf engstem Raum bis hoch unter die Decke in zwei langen Gängen gestapelt hatte. Zielstrebig begann sie ihre Einkaufstour und bewies damit eine gewisse Ortskunde. Wann immer sie ihren Arm ausstreckte, um etwas vom Regal zu nehmen, eilte ein junger Mann herbei, stieg auf eine Leiter oder angelte mithilfe eines langen Holzstabs die gewünschten Artikel herunter und legte sie in ihr Körbchen, das wiederum ein Junge von etwa zehn Jahren – vermutlich der Bruder, denn die beiden besaßen die gleichen abstehenden Ohren – hinter ihnen herschleppte. »Hier gibt es einfach alles«, erklärte Manon und flüsterte dann: »Leider ist das nicht ganz billig, deshalb kaufe ich alle zwei Wochen bei Tescos ein. Meist finde ich auch dort einen netten Mann, der mir die Einkäufe gegen
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