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Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn

Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn

Titel: Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn
Autoren: Stefan Holzhauer (Herausgeber)
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bleckte, und mit der Rechten stützte sie sich schwer auf eine blutjunge Gesellschafterin. Diese wurde von Jahr zu Jahr ersetzt, und ein besonders bissiges Gerücht besagte, die Baronin sauge die Lebenskraft ihrer Gesellschafterinnen aus und halte sich nur dadurch am Leben. Natürlich war das Unfug. Sie saugte darüber hinaus einige Nichten und Großnichten aus, bei denen sie sich zwischen ihren Reisen einquartierte, des weiteren eine Reihe von Anwaltsbüros, die die Vermögen ihrer diversen verstorbenen Ehemänner verwalteten, und schließlich noch den Verstand eines jeden, der sich mit ihr auf ein Rededuell einließ.
    Algernon lächelte. Er war sicher, dass die Baronin auf dieser Fahrt in ihm ihren Meister finden würde.
     
    Nach ihr betrat Bert van Guellen den Saal, ein reicher Bankier, der auf dem Höhepunkt seiner Macht den Fehler begangen hatte, eine Schauspielerin zu heiraten. Blass und anämisch hing sie jetzt an seinem Arm, als müsse sie demonstrieren, welch eine Last sie für ihn war. Gesellschaftlich ohnehin in einer angreifbaren Position, hatte er sich durch diese Mesalliance sämtliche Türen verschlossen, die er nicht durch sein Scheckbuch offen halten konnte, und auch sein Eheglück erschien Algernon fraglich, denn er ging gebeugt, sein Gesicht war grau und eingefallen wie das eines Mannes, der vor Kurzem sehr viel Gewicht verloren hatte.
     
    Ihnen folgte John Shallow-Bargepole, ein Gentleman, was sich vor allem darin zeigte, dass niemand genau hätte sagen können, womit er sich beschäftigte. Gelegentlich wettete er auf Pferde, allerdings mit wenig Glück, und meist lag er anderen Menschen auf der Tasche. Mit langen Schritten überholte er die anderen und ließ sich auf den einzigen Stuhl plumpsen, der mit dem Rücken zum Fenster stand.
     
    Die Baronin verhielt den Schritt. Missbilligend stieg ihre rechte Augenbraue in die Höhe. Algernon hätte schwören können, dass ihr Gesicht dabei knisterte, als bestehe es aus brechendem Pergament.
    Shallow-Bargepole grinste entschuldigend, was ihm nicht stand, denn es ließ sein jugendlich-verlebtes Gesicht knittern wie ein billiges Hemd. »Vertrage den Ausblick nicht. Das Auf und Ab. Muss davon speien, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Jetzt hatte er Algernon entdeckt und ließ ihm einen gelangweilten Blick durch sein Lorgnon zukommen. »Sie auch hier? Aussichten auf das purpurne Band, was meinen Sie?«
    »Auch Ihnen einen guten Abend«, erwiderte Algernon mit betonter Höflichkeit. »Baronin, ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise?«
    Sie musterte ihn eisig. »Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden.«
    »Algernon Holland, der Journalist«, warf Shallow-Bargepole nachlässig ein, und es gelang ihm, dem Wort »Journalist« einen Klang zu verleihen, als handele es sich um eine Art ansteckenden Ausschlags.
    »Sind Sie sicher, dass hier für Sie gedeckt ist?« Die Baronin wandte sich ab. Mit dem Fächer versetzte sie ihrer Gesellschafterin, einer gehetzten blassen Frau, einen gezielten Hieb auf das Handgelenk und veranlasste sie damit, einen Stuhl zurechtzurücken. Leise raschelnd setzte sie sich darauf nieder, während der Hund, der um sein Gleichgewicht rang, einen enervierend hohen Kläfflaut ausstieß. »Ruhig, Precious!«, befahl sie.
    Achselzuckend begab sich Algernon auf die andere Seite des Tisches und rutschte auf den freien Platz neben der Bankiersgattin. Vergebens kramte er in seinem Gedächtnis nach ihrem Namen und nickte ihr nur vage zu. Dann beschloss er, die Eröffnungsrunde verloren zu geben und sich zunächst dem Essen zu widmen.
     
    Als der erste Gang aufgetragen wurde, hatte seine Tischnachbarin bereits das zweite Glas Wein geleert und schnippte ungeduldig mit dem Finger, um das dritte in Angriff nehmen zu können.
     
    »Cora, mein Liebling ...«, murmelte der Bankier.
    Cora – jetzt fiel es ihm wieder ein. Cora Hock, für eine Saison der Star des Londoner Westends. Er musterte sie verstohlen von der Seite. Noch war sie schön, aber ihre klaren Züge hatten bereits begonnen, schwammig zu werden. Kleine Fältchen sammelten sich in ihren Mundwinkeln, ihre Kinnlinie verlor an Kontur.
    Sie spürte seinen Blick und wandte sich um, seine Aufmerksamkeit absichtlich missverstehend. Ihr Kleid war zu rot, ihr Ausschnitt zu tief, ihr Schmuck ein wenig zu prunkvoll, um echt zu sein. »Gewiss erinnern Sie sich an meinen Auftritt als Rosamunde im Adelphi?«, fragte sie mit einem Augenaufschlag, der seelenvoll wirken
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