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Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Titel: Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
Autoren: Arena
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TAG 1, 16:51 UHR
    I ch wache auf.
    Aber aufwachen ist nicht das richtige Wort. Das würde ja bedeuten, dass ich geschlafen hätte. Ein Bett. Ein Kissen.
    Langsam komme ich zu mir.
    Anstatt auf einem Kissen liege ich mit meiner rechten Wange auf etwas Hartem, Rauem, Grobem. Einem abgewetzten Holzboden.
    Ich habe den Geschmack von alten Münzen im Mund. Blut. Ich halte die Augen geschlossen und fahre vorsichtig mit meiner Zunge über meine Zähne. Einer von ihnen ist locker. Das Innere meines Mundes fühlt sich verletzt und wund an. Mein Kopf tut weh und in meinen Ohren summt es leise.
    Irgendetwas stimmt auch nicht mit meiner linken Hand. Die Spitzen meines kleinen Fingers und meines Ringfingers pochen mit jedem Herzschlag. Der Schmerz ist scharf und glühend.
    Stimmen dringen zu mir, zwei Männer, die sich unterhalten, ihr Gespräch nur ein leises Murmeln. Irgendetwas darüber, dass niemand kommen würde, um jemanden zu holen. Dass es zu spät sei.
    Ich beschließe, die Augen geschlossen zu halten. Mich nicht zu rühren. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich dazu überhaupt in der Lage wäre. Es ist nicht nur mein Zahn und meine Hand, die sich irgendwie falsch anfühlen.
    Schritte nähern sich. Ein Schuh trifft mich in die Rippen. Nicht besonders hart. Eher ein Stupsen. Eine Reaktion erlaube ich mir trotzdem nicht. Ich öffne meine Augen einen winzigen Spalt und sehe zwei Paar Männerschuhe neben mir stehen. Ein Paar brauner Stiefel und ein Paar rotbrauner Lederschuhe, die zu den Zehen hin ins Schwarze spielen. Ein ferner Teil von mir denkt, dass diese Farbe »Ochsenblut« genannt wird.
    »Sie weiß nichts«, sagt einer der Männer. Er klingt nicht böse, nicht einmal aufgeregt. Es ist die bloße Feststellung einer Tatsache.
    Ich merke, dass er recht hat. Ich weiß nichts. Gar nichts. Was mit mir passiert ist, wo ich bin, wer sie sind. Und dann versuche ich, darüber nachzudenken, wer ich bin, aber alles, was mir dazu einfällt ist: nichts. Ein großes schwarzes Loch. Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass ich in Schwierigkeiten stecke.
    »Ich muss zurück nach Portland und den Hinweisen dort nachgehen«, sagt der andere Mann. »Du wirst dich hier um alles kümmern. Schaff sie hier raus und mach sie kalt.«
    »Aber sie ist doch noch ein Kind«, sagt der erste Mann. Sein Tonfall ist jetzt nicht mehr ganz so neutral.
    »Ein Kind?« Die Stimme des zweiten Mannes wird hart. »Wenn sie mit den Cops redet, kann sie uns beide in die Todeszelle bringen. Entweder sie oder wir. So einfach ist das.« Seine Schritte entfernen sich von mir. »Ruf mich an, wenn du fertig bist.«
    Der andere Mann stupst mich wieder mit dem Fuß an. Dieses Mal etwas fester.
    Ich höre, wie sich hinter mir eine Tür öffnet und wieder schließt.
    »Komm. Steh auf.« Mit einem Seufzer beugt er sich über mich und packt mich unter den Armen. Grunzend hievt er mich von hinten hoch. Sein Atem riecht bitter, wie Kaffee. Ich versuche, meinen Körper ganz schlaff zu machen, doch als meine linke Hand über den Boden streift, jagt der Schmerz wie ein elektrischer Schlag durch meine Finger. Meine Beine werden steif und er zieht mich auf die Füße.
    »So ist es gut«, sagt er und schubst mich vorwärts, während er mich noch immer aufrecht hält. »Wir machen einen kleinen Spaziergang.«
    Da er jetzt weiß, dass ich bei Bewusstsein bin, kann ich genauso gut meine Augen halb öffnen. Wir sind in einer Art Hütte mit Wänden aus astigem Kiefernholz und einem schwarzen Holzofen. Gelbes Füllmaterial quillt aus aufgeschlitzten Kissen, die auf einem alten karierten Sofa und einem grünen Sessel mit hoher Rückenlehne verteilt sind. Bücher liegen verstreut unter einem leeren Regal. Offensichtlich hat hier jemand etwas gesucht, aber ich weiß nicht, was, und auch nicht, ob derjenige es gefunden hat. Draußen vor den rot-weiß karierten Vorhängen ist außer Tannenbäumen nichts zu sehen.
    Der Typ umklammert meine Schultern und ich stolpere an einem Tisch mit vier Stühlen vorbei. Einer von ihnen ist vom Tisch abgewandt. Um seine Lehnen winden sich locker Seile. Eine blutige Zange liegt auf dem Tisch, daneben silbrigweiße Plättchen, die großteils rosa angemalt sind.
    Ich blicke auf meine schlaffe linke Hand hinunter. Rosa Nagellack an drei der Fingernägel. Die Spitzen der letzten beiden Finger sind dort, wo mal Nägel waren, nass und rot.
    Ich glaube, ich weiß jetzt zumindest, wo ich war, bevor ich auf dem Boden gelandet bin.
    Ich mache kleine,
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