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Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn

Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn

Titel: Die Steampunk-Chroniken - Aethergarn
Autoren: Stefan Holzhauer (Herausgeber)
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Art zu schreiben in Mode gekommen war und als »Hollandismus« bezeichnet wurde. Weiter konnte man es wohl nicht bringen.
     
    Die Zeitung unter den Arm geklemmt, wo sie vermutlich Druckerschwärzeflecken hinterließ und das Hemd vollends ruinierte, schritt er beschwingt zum Kai.
     
    Die King Charles war zu groß, um am Steg zu ankern. Sie lag ein Stück weiter draußen im Hafenbecken. Als Algernon zu ihr hinaus schaute, sträubten sich wie immer seine Nackenhaare. Sie war so riesig. Selbst jetzt, da ihre Segel gerefft waren und die Masten kahl in den Himmel ragten wie das Skelett eines Giganten – er zog sein berühmtes blaues Heft hervor und notierte die Wendung – vermittelte sie den Eindruck überwältigender Größe. Ihr kupferbeschlagener Rumpf gleißte in der Sonne, er schien das Licht beinahe auszustrahlen, anstatt es nur zu reflektieren. Wie ein lebendiges, geschmeidiges Wasserwesen schaukelte sie ungeduldig auf den Wellen, von den schweren Ankerketten nur mühsam gehalten. Der Kessel, der das Schaufelrad am Heck antrieb, war schon vorgeheizt, und aus dem schmalen Schornstein zwischen Hauptmast und Besanmast kräuselte sich Rauch. Kleine Boote umkreisten sie wie Monde einen Planeten, sie lieferten Wasserfässer, Tröge mit dem entsetzlichen gepökelten Fleisch, das die Æthermänner als Hauptnahrungsmittel zu betrachten schienen, Ballen mit Segeltuch, lebende Kühe, Schweine, Ziegen und Hühner, die muhend, grunzend, blökend und gackernd auf den wackligen Planken an Bord balancierten und eilig unter Deck geschafft wurden, sowie eine Fülle weiterer Waren in Fässern, Körben, Tragen, Säcken und Kisten. Es erschien ihm unglaubwürdig, wie der Ætherklipper dies alles in sich hineinfraß und doch so schlank blieb – ihm gelang so etwas nicht.
    Erneut zückte er das blaue Heft, in dem er alle Hollandismen festhielt. Dann winkte er einem der Bootsleute und dirigierte seine eigene Habe, die Koffer, Schachteln, Taschen und schließlich sich selbst an Bord.
     
    Der Start, so aufregend er für die Æthermänner und Schaulustigen am Kai auch war, wurde von den Gästen der Erste-Klasse-Kabinen traditionell ignoriert. Sie wussten, dass auf dem Klipper unter lauten Rufen die Segel gesetzt und die Anker gelichtet wurden, dass der fauchende Kessel das Schaufelrad in Bewegung brachte, ohne dessen zusätzliche Energie auch der prächtigste Klipper die Atmosphäre nicht hätte überwinden können. Sie bemerkten auch, dass das schlanke Gefährt immer schnellere Fahrt aufnahm und dann, technisch zwar begründbar, aber für sie als Laien beinahe wie Zauberei, in den Himmel aufstieg, durch die Wolkendecke stieß, immer noch beschleunigte und sich schließlich in den Æther aufmachte. Das war durchaus spektakulär, aber mit offenem Maul zu staunen schickte sich nicht, und gescheit klingende Kommentare trauten sie sich klugerweise nicht zu. Sie blieben also, wo sie waren, schikanierten die Diener, verwendeten eine unglaubliche Zeit auf die Wahl des richtigen Anzugs oder ließen sich von der Zofe zum zehnten Mal das Haar hochstecken. Danach schritten sie zum Dinnersaal. Erst dort, inmitten ihresgleichen, fühlten sie sich wieder behaglich.
     
    Algernon hatte das cremefarbene Seidenhemd gegen ein schneeweißes ausgetauscht und dazu einen Smoking angezogen, dezent und zurückhaltend für den ersten Abend, wie er befand. Dann war er raschen Schrittes in den Saal geeilt und hatte sich in einer Ecke platziert, um die übrigen Gäste beim Eintreten beobachten zu können.
    Vorläufig waren es nur sechs Stühle, die um einen Tisch aufgestellt waren. Die weiteren Gäste der ersten Klasse würden erst bei der Zwischenlandung im Mondhafen zusteigen.
     
    Die erste die hereinkam, offensichtlich von Hunger getrieben, war die hagere Baronin Hohenschön. Algernon war ihr trotz all seiner zahllosen Reisen entgegen aller Wahrscheinlichkeit noch niemals persönlich begegnet, aber die Geschichten über sie kannte er gut. Von Jahr zu Jahr liefen neben den offiziellen Wetten auf die Geschwindigkeit der Ætherklipper auch Nebenwetten darauf, ob die Baronin dieses Mal wieder lebendig ihr Ziel erreichen, oder auf halber Strecke zu Staub zerfallen würde. Bisher hatte noch immer diejenigen gewonnen, die darauf setzten, dass die Dame viel zu gut in Gin konserviert sei, um jemals zu modern.
    In der linken Hand hielt sie einen Fächer, in der Armbeuge balancierte sie einen winzigen Hund, der über den Spitzenbesatz des Ärmels hinweg die Zähne
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