Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Löffel,
schob sich eine gewaltige Portion Essen in seinen Mund und
kaute.
Einmal.
Sein Lächeln gefror. Ganz langsam senkte er den Löffel, kaute
noch einmal und schluckte die ganze Portion dann mit
sichtlicher Mühe herunter.
»Stimmt irgendetwas mit dem Essen nicht?«, fragte Ben.
»Nein, nein«, antwortete Trautman hastig. »Es ist ganz
ausgezeichnet. Wirklich. Wenn man bedenkt, dass du erst seit
fünf Jahren versuchst das Kochen zu lernen, ist es sogar
hervorragend ... Chris, darf ich fragen, was dich auf der Wache
so sehr abgelenkt hat?«
Chris hob seinen Löffel, roch daran und warf Ben einen
schiefen Blick zu. »Ich habe versucht, das Morsealphabet zu
lernen«, sagte er.
»Aber hast du das nicht schon vor Wochen?«, fragte
Trautman interessiert. Er beugte sich vor und schob dabei ganz
zufällig seinen Teller so weit von sich, wie es ging.
»Ich dachte, ein bisschen praktische Übung tut mir ganz gut«,
antwortete Chris. »Deshalb habe ich einfach den Fernverkehr
abgehört.«
»War etwas Interessantes dabei?«
Chris schob seinen Teller von sich, ging zum Funkpult und
kam mit den voll gekritzelten Zetteln wieder, die Mike schon
vorhin gesehen hatte. »Ich fürchte, nein«, sagte er. »Ich habe
alles so aufgeschrieben, wie Sie es mir gezeigt haben, aber es ist
nur Unsinn dabei herausgekommen. Sehen Sie selbst.«
Trautman griff nach den Zetteln, blätterte sie durch und
schüttelte ein paar Mal lächelnd den Kopf. Dann erlosch sein
Lächeln und an seiner Stelle machte sich ein überraschter
Ausdruck auf seinen Zügen breit. »Das ist sehr seltsam«,
murmelte er. »Das ist Norwegisch. Ein ziemlich seltener
Dialekt, aber ich kenne ihn.«
»Und Sie können das lesen?«, fragte Chris aufgeregt. »Ja und
nein«, erwiderte Trautman kopfschüttelnd. »Das meiste kann
ich entziffern... Aber es ergibt trotzdem keinen Sinn.«
Plötzlich wirkte er sehr aufgeregt. Er sprang hoch, lief mit den
Zetteln in der Hand zum Bücherregal und rief über die Schulter
zurück: »Räumt den Tisch frei! Ich brauche Platz!«
Nicht nur Mike hatte es plötzlich sehr eilig, seinem Befehl zu
folgen. Nur Ben rührte sich nicht, sondern stopfte weiter Löffel
um Löffel in sich hinein. »Aber ihr seid doch noch gar nicht
fertig mit dem Essen!«, beschwerte er sich.
»Die Wissenschaft geht vor«, sagte Juan.
»Außerdem tut allen ein Fastentag dann und wann ganz gut«,
fügte Serena hinzu. »In meiner Heimat war das so üblich, glaub
mir. Zu gutes Essen ist auf die Dauer nicht gesund.«
»Deshalb sind die Atlanter wahrscheinlich auch
ausgestorben«, maulte Ben. »Aber gut, wenn du meinst ...
Trotzdem – jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ihr
wollt, übernehme ich morgen noch einmal freiwillig den
Küchendienst.«
Niemand antwortete.
    Trautman arbeitete zwei Stunden, aber danach sah der Salon
aus, als hätten Dschingis Khans Horden zwei Wochen lang
darin gewütet: Überall lagen Bücher herum und lose Blätter,
voll gekritzelte Notizzettel und Stifte, Radiergummis und
zerknüllte Papierkugeln. Niemand nahm auch nur Notiz davon.
Sie alle waren viel zu aufgeregt.
Trautman hatte es tatsächlich geschafft.
    »Es ist ein Notruf«, sagte er schließlich. Er wirkte erschöpft,
aber zufrieden.
»So?«, machte Ben zweifelnd. Er beugte sich ein wenig vor
und sah über Trautmans Schulter auf den kleinen Zettel hinab,
auf dem die Übersetzung allmählich Gestalt angenommen hatte.
»Für mich sieht es immer noch aus wie Buchstabensalat.«
»Es ist ein sehr alter Code«, antwortete Trautman. »Es scheint
sich um eine Gruppe von Forschern zu handeln, die in
Schwierigkeiten geraten sind. Das hier –«, er tippte mit dem
Zeigefinger auf eine Reihe von Buchstaben und Zahlen, »– sind
ziemlich genaue Koordinaten. Ich schätze, dass wir zwei Tage
brauchen werden, um dorthin zu kommen.«
»Wohin?«, fragte Juan.
»Grönland.«
»Grönland?« Ben sah nicht begeistert aus.
»Es ist ein Notruf«, wiederholte Trautman in leicht tadelndem
Tonfall. »Wir müssen darauf reagieren, das schreibt das
internationale Seerecht vor. Und ich würde es auch tun, wenn es
nicht so wäre. Jemand ist in Schwierigkeiten und braucht
Hilfe.« Er reichte Singh seinen Zettel. »Singh, würdest du bitte
den Kurs berechnen?«
Der Inder ging wortlos zu den Kontrollinstrumenten. Während
er tat, was Trautman ihm aufgetragen hatte, sagte Ben noch
einmal: »Grönland.«
»Das ist ziemlich weit«, sagte Juan und Chris fügte hinzu:
»Und kalt.«
»Was wird das?«, fragte

Weitere Kostenlose Bücher