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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Trautman. »Eine Meuterei? Habt ihr
mir nicht zugehört? Ich sagte doch wohl deutlich genug: Es ist
ein Notruf. Ihr würdet doch auch erwarten, dass man euch zu
Hilfe kommt, wenn ihr in Schwierigkeiten wärt, oder?«
Für einen kurzen Moment breitete sich ein betretenes
Schweigen im Salon aus. Der Einzige, der bisher nichts gesagt
hatte, war Mike. Er sah Trautman nur sehr nachdenklich an. Er
konnte das Gefühl nicht begründen, aber er war fast sicher, dass
Trautman ihnen etwas sehr Wichtiges verschwieg.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sah Trautman für einen
Moment auf und blickte ihm direkt ins Gesicht. Er wirkte
nervös.
»Kurs liegt an«, sagte Singh knapp, bevor Mike eine
entsprechende Frage stellen konnte.
»Dann sollten wir losfahren«, meinte Trautman. »Halbe
Kraft voraus. Wir brauchen noch ein wenig Zeit, um die
Motoren wieder komplett zusammenzusetzen. Die Gewässer
dort sind schwierig. Ich möchte nicht mit einem halb
auseinander gebauten Schiff zwischen treibenden Eisbergen
manövrieren.«
Mike sah aus den Augenwinkeln, dass Ben erneut zum
Widerspruch ansetzte, aber Singh kam ihm zuvor: »Ich schlage
trotzdem vor, dass wir etwas schneller fahren«, sagte er.
»Wieso?«
Aller Aufmerksamkeit wandte sich dem Inder zu.
Singh blickte stirnrunzelnd auf seine Instrumente hinab und
fuhr fort: »Wir bekommen Gesellschaft. Sieht so aus, als ob
unsere deutschen Freunde nicht so schnell aufgeben.«
»Das Kriegsschiff?«, fragte Ben.
»Ja«, antwortete Singh. »Es hält genau auf uns zu. Aber keine
Sorge.« Er hob beruhigend die Hand, ehe sie auch nur Zeit
fanden, richtig zu erschrecken. »Sie werden Stunden brauchen,
bis sie hier sind.«
»Sie dürften überhaupt nicht wissen, wo wir sind!«,
protestierte Ben. »Das ist unmöglich!«
»Trotzdem ist es so«, sagte Singh achselzuckend. »Vielleicht
haben sie irgendein neues ... Ortungssystem entwickelt.«
»Mit dem sie uns auf eine Entfernung von hundertfünfzig
Seemeilen entdecken können?« Ben schüttelte den Kopf:
»Unmöglich.«
»Da ist noch etwas«, murmelte Singh. »Ich kann es nicht
genau erkennen, aber es scheint sich ... um ein weiteres Schiff
zu handeln.«
»Es scheint?« Trautman stand auf und ging zu Singh hinüber.
Auf seinem Gesicht erschien derselbe nachdenkliche Ausdruck
wie auf dem des Inders, als er auf die Instrumente hinabsah.
»Merkwürdig«, murmelte er. Dann zuckte er mit den
Schultern. »Aber das ist jetzt egal. Wir laufen die halbe Strecke
mit voller Kraft und gehen dann wieder auf halbe
Geschwindigkeit. Das sollte reichen, um sie endgültig
abzuhängen. Also los – alle auf eure Posten. Wir haben noch
einen weiten Weg vor uns!«
    Die Küste schimmerte wie eine Wand aus poliertem, milchigem
Glas. Die Sonne war gerade aufgegangen und ihre Strahlen
brachen sich auf dem schimmernden Eis und ließen Millionen
goldener und weißblauer Lichtreflexe aufwirbeln. Die Wand
erhob sich drei Meter senkrecht vor der NAUTILUS aus dem
Meer und erstreckte sich in beide Richtungen, so weit der Blick
reichte.
    »Beeindruckend«, sagte Mike. »Man kommt sich
irgendwie winzig vor, meint ihr nicht?«
Ben, der neben ihm und Serena auf dem Verandadeck der
NAUTILUS stand, warf ihm einen Blick zu. »Ich komme mir
vor allem kalt vor«, maulte er.
Mike seufzte. »Das könnte daran liegen, dass diese ganze
Küste aus Eis besteht«, sagte er. »Hat man dir schon einmal
gesagt, dass du ein furchtbar unromantischer Mensch bist?«
Ben grinste. »Mehrmals. Aber das ändert nichts daran, dass
ich schon halb erfroren bin. Ich gehe jetzt nach unten und lasse
euch zwei Turteltäubchen allein. Passt nur auf, dass ihr nicht
aneinander festfriert
– wenigstens nicht in einer Position, die
euch peinlich sein könnte.«
Er lachte, drehte sich herum und kletterte die kurze Eisenleiter
zum Turm der NAUTILUS empor. Mike sah ihm nach, bis er
im Inneren des Schiffes verschwunden war, dann schüttelte er
den Kopf. »Blödmann.«
Aber er grinste, als er das sagte, und als er sich wieder zu
Serena herumdrehte, entdeckte er auch in ihren Augen ein
spöttisches Funkeln. Mike fragte sich, ob sie Bens Bemerkung
einfach nur komisch fand oder sich genau wie er über das Wort Turteltäubchen amüsierte. Und einen Moment lang war er ganz
dicht davor, ihr endlich zu gestehen, dass an Bens gutmütigen
Sticheleien weitaus mehr dran war, als Serena vielleicht ahnte.
Sie alle mochten Serena, aber Mike hatte vom ersten Tag an viel
mehr für sie empfunden.
Dann drehte sich Serena wieder
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