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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Autoren: Sara Gran
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1
    E s geht um meinen Onkel«, sagte der Mann am Telefon. »Er ist weg. Wir haben ihn im Sturm verloren.«
    »Weg?«, fragte ich. »Sie meinen, er ist ertrunken?«
    »Nein«, erwiderte der Mann bekümmert, »weg. Ja, natürlich ist er aller Wahrscheinlichkeit nach tot und ertrunken. Ich habe einfach nichts mehr von ihm gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er noch am Leben ist.«
    »Wo liegt das Problem?«, fragte ich.
    Während wir telefonierten, flog eine Krähe über mich hinweg. Ich war in Nordkalifornien, in der Nähe von Santa Rosa. Ich saß neben ein paar Riesenmammutbäumen an einem Picknicktisch. Irgendwo schrie ein Blauhäher. Früher einmal galten Krähen als schlechtes Omen, aber inzwischen kommen sie so häufig vor, dass man sich nicht mehr sicher sein kann.
    Die Omen ändern sich. Die Zeichen ändern sich. Nichts ist von Dauer.

    In jener Nacht träumte ich, ich wäre zurück in New Orleans. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr dort gewesen. In meinem Traum war die Stadt überschwemmt. Ich saß in der kalten, dunklen Nacht auf einem Dachfirst. Das Wasser ringsum glitzerte im Mondlicht. Es war so still. Alle waren weg.
    Auf der anderen Straßenseite saß ein Mann in einem Lehnstuhl auf dem Dach. Das Bild flimmerte, der Mann war mal scharf, mal unscharf, wie in einer alten, vom Licht versengten Filmaufnahme. Er war fünfzig oder sechzig Jahre alt, weiß, blass und nur etwas kleiner als der Durchschnitt, und er hatte graumeliertes Haar und buschige Augenbrauen. Er trug einen dreiteiligen, schwarzen Anzug mit Stehkragen und eine schwarze Krawatte. Er schaute finster drein.
    Sein strenger Blick galt mir.
    »Wenn ich Ihnen geradeheraus die Wahrheit erzählen würde«, sagte er, »würden Sie mich nicht verstehen.« Seine Stimme klang verzerrt und heiser, so als käme sie von einer alten Schallplatte. Trotzdem konnte ich einen hauchfeinen französischen Akzent heraushören. »Die Antworten wären bedeutungslos, würde ich sie Ihnen einfach präsentieren. Ein Detektiv muss selbst auf Spurensuche gehen und das Rätsel lösen. Niemand kann das Geheimnis für Sie aufklären, ein Buch kann Ihnen dabei nicht helfen.«
    Jetzt erkannte ich den Mann. Er war Jacques Silette, der berühmte französische Detektiv. Die Sätze stammten aus seinem ersten und einzigen Buch Détection.
    Ich schaute mich um und sah in der Ferne ein Licht auf dem Wasser tanzen. Als es sich näherte, erkannte ich ein Ruderboot, an dessen Bug eine Laterne hing.
    Ich dachte schon, man käme, uns zu retten, aber das Boot war leer.
    »Niemand wird Sie retten«, rief Silette von seinem Dach herüber. »Niemand wird kommen. Auf Ihrer Suche sind Sie ganz allein. Kein Freund, kein Geliebter und kein allmächtiger Gott wird Ihnen zu Hilfe eilen. Sie müssen Ihre Rätsel alleine lösen.«
    Silette flackerte und flimmerte im Mondlicht. Das Bild verschwamm.
    »Ich kann nicht mehr tun als Ihnen Hinweise geben«, sagte er. »Und darauf hoffen, dass Sie nicht nur das Rätsel lösen, sondern die Spuren, die Sie selbst hinterlassen, mit Bedacht wählen. Treffen Sie die richtigen Entscheidungen, Mademoiselle. Die Geheimnisse, die Sie hinterlassen, werden Menschenalter überdauern. Sie werden noch da sein, wenn Sie es schon längst nicht mehr sind. Und vergessen Sie eins nicht: Sie sind die einzige Hoffnung all jener, die nach Ihnen kommen.«
    Ich wachte hustend auf und spuckte Wasser.

    Am selben Vormittag besprach ich den Traum mit meinem Arzt. Dann rief ich den Mann zurück und nahm den Auftrag an.

2
    2. Januar 2007
    D er Auftraggeber kennt die Lösung des Rätsels bereits. Aber er sträubt sich dagegen. Er beauftragt den Detektiv nicht, um das Rätsel zu lösen. Er beauftragt ihn, um sich bestätigen zu lassen, dass es keine Lösung gibt.
    Ich ließ mich von einem Taxi vor dem Napoleon House im French Quarter absetzen. Der Auftraggeber war schon da. Ich setzte mich an seinen Tisch und hörte zu, wie er so tat, als solle ich sein Rätsel für ihn lösen. Er wusste nicht, dass er nur schauspielerte. Keiner von ihnen weiß das je.
    Mein Klient hieß Leon Salvatore. Männlich, Ende vierzig, mit angegrauter Zottelfrisur und einer Art Bart, der womöglich nur das Resultat einiger Wochen ohne Rasur war. Leon sah aus wie ein alter Hippie, der nie in seinem Leben ein echter Hippie gewesen war. Er trug Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck Cameron Parish Crawfish Festival 2005. Darüber leuchtete ein roter, breit grinsender Flusskrebs, der sich in einen Kochtopf
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