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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Autoren: Sara Gran
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war ein Uhr elf.
    »Sorry«, sagte ich. »Aber nein, das wird leider nicht möglich sein.«

    Nachdem ich mit Leon telefoniert hatte, rief ich Frank von Bauen im Neunten Bezirk an. Die Nummer stand auf der Visitenkarte, die ich im Napoleon House gefunden hatte.
    Wir schaffen das! Ich kann helfen!
    Vielleicht. Wäre möglich.
    Der Anschluss existierte nicht mehr.

    Ich holte eine Lupe aus meiner Handtasche und studierte das Bild von Vic, das ich in den Ordner geklebt hatte. Sah man genauer hin, erkannte man die winzigen, grünen Tupfer auf seiner Krawatte. Mit Hilfe der Lupe konnte ich sehen, dass es sich um Tiere handelte. Ich holte eine zweite, stärkere Lupe heraus.
    Die Tupfer waren grüne Papageien, Hunderte davon.
    Fall Nr. 113, schrieb ich auf den Aktenordner. Der Fall des grünen Papageien.

4
    E s gibt keine unschuldigen Opfer«, schrieb Jacques Silette. »Das Opfer wählt seine Rolle ebenso sorgfältig und unbewusst wie der Polizist, der Detektiv, der Auftraggeber und der Bösewicht. Ein jeder wählt seine Rolle und vergisst es dann, manchmal für Ewigkeiten – bis ihm jemand begegnet, der ihn an seine Wahl erinnert. Heute sind Sie Opfer oder Täter, aber schon beim nächsten Mal sind die Rollen möglicherweise vertauscht.
    Es ist nur eine Rolle. Vergessen Sie das nicht.«

    Silette schrieb sein einziges Buch Détection im Jahr 1959. Jacques Silette war ein Genie. Wenigstens hielt ich ihn dafür. Und ein paar tausend andere auf diesem Planeten auch. Die meisten hielten ihn jedoch für einen Lügner, einen Idioten und einen Betrüger, oder sie hatten nie von ihm gehört. Jenen, die nie von ihm gehört hatten, konnte ich vergeben. Bei den anderen war ich mir nicht sicher.
    Silettes eigene Biographie ist undurchsichtig. Er war kein Geheimniskrämer, doch allseits bekannte Tatsachen langweilten ihn. Er verbrachte fast sein ganzes Leben in Paris. Er kam irgendwann zwischen 1900 und 1920 auf die Welt, und irgendwann zwischen 1920 und 1940 begann er, als Privatdetektiv zu arbeiten. Überliefert ist, dass er im Jahr 1945 den berühmten Überfall auf die Banque Française aufklärte und außerdem eine unschätzbar wertvolle und äußerst seltene Erstausgabe von Vidocqs Memoiren barg, die seit dem Jahr 1929 als verschollen gegolten hatte. US-amerikanische Schnüffler haben es gut, haben sie doch täglich die Wahl zwischen Dutzenden von Mordfällen. Die Franzosen hingegen müssen sich mit Banküberfällen und Bücherraub begnügen.
    Ich war 1995 nach New Orleans gekommen, um für die Detektivin Constance Darling zu arbeiten. Sie hatte bei Silette gelernt, war seine Studentin, Freundin, Komplizin und Geliebte gewesen. Als sie knapp drei Jahre später ermordet wurde, verließ ich die Stadt. Constance hatte die fünfziger und den Anfang der sechziger Jahre bei Silette in Paris verbracht, bevor sie die Liaison aus mir unbekannten Gründen abrupt abgebrochen hatte und nach New Orleans zurückgekehrt war. Nach ihrer Abreise wandte sich Silette einer anderen Studentin zu, die noch jünger als Constance war. Für ein Genie war er recht glücklich, oder wenigstens sah es danach aus. Doch sein Glück sollte nicht von Dauer sein. Wie das eines jeden Menschen.
    »Glück ist das vorübergehende Ergebnis der Verleugnung bekannter Tatsachen«, schrieb Silette. »Sobald man weiß, was man weiß – sobald man die Lösung des Rätsels kennt –, verkommt das Glück zur Nebensache. In Ausnahmefällen kommt etwas viel Besseres zum Erblühen.«
    Nicht jedoch für Silette. Während einer USA-Reise im Jahr 1973 kam Silette eines Abends nach einer Lesung ins Hotel zurück, um seine erst vierundzwanzigjährige Frau Marie betäubt vorzufinden. Seine Tochter Belle war verschwunden. Die kleine Belle, zwei Jahre alt, war Silettes einziges Kind gewesen, und er hatte sie vergöttert. Wenige Jahre später starb Marie, die immer schon labil gewesen war, an einem, wie die Ärzte es nannten, »ungeklärten Leiden« – am Kummer.
    Belle ward nie wieder gesehen. Sein eigenes Rätsel konnte Silette nicht lösen. Er fand keinen noch so kleinen Hinweis, nicht den Hauch einer Spur. Der große Detektiv hielt durch, wenn auch nicht mehr lange. 1980 starb auch er an gebrochenem Herzen, dem von allen Seiten zugesetzt worden war – seine Tochter verschwunden, die Ehefrau tot, das Werk selbst von den wenigen vergessen, die es gelesen hatten.
    Das alles hatte Constance mir erzählt, spät am Abend in New Orleans, wo wir in ihrer großen Villa im Garden
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