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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Autoren: Sara Gran
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Visitenkarte. Ich griff danach. Auf der Karte war ein schlecht gezeichneter Vogel über einem Hausdach abgebildet.
    Bauen im Neunten Bezirk, stand darauf. Wir schaffen das!
    Darunter war eine Adresse im Neunten Bezirk angegeben. Da wurde längst nichts mehr gebaut.
    Ich drehte die Karte um. Auf die Rückseite hatte jemand mit Kugelschreiber einen Namen und eine Telefonnummer gekritzelt, und darunter eine Botschaft.
Frank. 555-1111
RUF AN ICH KANN HELFEN!
    Ich ließ die Karte vorsichtig in meiner Brieftasche verschwinden.
    Der erste Hinweis.

3
    A ls ich am selben Abend in meinem Zimmer saß, überflog ich die Akte, die ich zu Vic Willing angelegt hatte. Auf den Innendeckel des Ordners hatte ich ein Bild von ihm geklebt, das ich auf der Webseite des Anwaltsvereins gefunden und ausgedruckt hatte. Vic war sechsundfünfzig, männlich, weiß, früher blond, heute grauhaarig, einen Meter siebenundsiebzig groß – womit er in San Francisco oder New York kleiner gewirkt hätte als hier in New Orleans –, körperlich fit, recht attraktiv, blauäugig. Auf dem Bild trug er eine teure, schwarze Krawatte. Vermutlich hatte er ausschließlich teure Krawatten getragen.
    In meinem Ordner befanden sich außerdem seine letzten drei Kreditkartenabrechnungen, die Kontoauszüge von sechs Monaten, Ausdrucke seines allzu leicht zu hackenden E-Mail-Kontos und seine Krankenakte. Vic hatte unter hohem Blutdruck und erhöhten Cholesterinwerten gelitten, was in dieser Gegend nicht ungewöhnlich war. Der PSA-Wert hätte Anlass zur Sorge geben können, aber im Moment war Prostatakrebs nicht Vics größtes Problem.
    Was sein Konsumverhalten betraf – tja, seine Krawatten waren in der Tat teuer gewesen, einhundert Dollar das Stück. Ähnlich sah es mit seinen Hüten, Anzügen und Schuhen aus. Selbst seine Unterwäsche war aus Seide. Er verbrachte mehrere Abende pro Woche in teuren Restaurants und Hotelbars, wahrscheinlich, um sich mit anderen Anwälten zu treffen. Sein E-Mail-Verkehr war ebenso vorhersehbar und drehte sich ausschließlich um die Arbeit, um Meetings und gelegentliche Zusammenkünfte mit Freunden. Er war nicht verheiratet und war es nie gewesen. Manchmal tauchte er in den Klatschspalten auf, weil er in Begleitung von Bekannten oder deren Ehefrauen Wohltätigkeitsveranstaltungen besuchte. Wahrscheinlich war er schwul.
    Vor ein paar Tagen hatte ich E-Mails an alle Privatdetektive in der Stadt geschrieben sowie an alle Anwälte und an alle mir bekannten Leute in New Orleans. Wie sich herausstellte, kannten viele meiner Bekannten Vic Willing entweder persönlich oder über Dritte. Alle Mailantworten lagen ausgedruckt im Ordner.
    Ein Gentleman, sagten die meisten. Ein echt netter Kerl. Echt nett. Großzügig. Und immer nahm er sich Zeit, ein bisschen zumindest, dabei war seine Zeit so kostbar. Einmal hatte er zum Beispiel seinen Erzfeind, den Strafverteidiger Hal Sherman, gegen Kaution aus dem Orleans Parish Prison geholt. Im Fall Shimmel hatte er sich als unbezahlter Rechtsbeistand angeboten, und er hatte Harry Terrebone einen Job besorgt, als der aus der Reha-Klinik kam und alle ihm die kalte Schulter zeigten. Wenn sein Terminkalender es zuließ, arbeitete er sogar als ehrenamtlicher Bewährungshelfer, um die männliche Jugend von New Orleans von ihrem mörderischen Tun abzubringen. Macht den Schulabschluss. Lasst die Finger von den Drogen. Mord ist verboten. Et cetera.
    Er war mein Ansprechpartner bei der Staatsanwaltschaft, schrieb ein pensionierter Cop aus dem New Orleans Police Department mir zurück. Der Einzige, der mit sich reden ließ. Sie kennen die ja. Aber Vic war anders. Mit dem konnte man wirklich reden. Die Polizei und die Staatswanwaltschaft der Stadt waren seit langem verfeindet. Es war wie bei der Fehde zwischen den Hatfields und den McCoys, außer dass bei den Schießereien in New Orleans immer auch Unbeteiligte zu Schaden kamen.
    Gerüchte von bestechlichen und korrupten Staatsanwälten hielten sich hartnäckig. Derlei Vorwürfe gab es natürlich in jeder Strafverfolgungsbehörde, schließlich unterlaufen selbst den ehrlichsten Gesetzeshütern einmal Fehler, und außerdem bekennt sich kaum ein Verbrecher freiwillig zu seiner Tat. Schwarze Schafe gab es überall. Aber in New Orleans waren fast alle Schafe schwarz und fast alle Vorwürfe berechtigt. Bestechung und Korruption gehörten hier zum Alltag.
    Nur Vic Willing hatte eine weiße Weste. Ein ehrlicher Anwalt, hatte mir einer der Ermittler zurückgeschrieben.
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