Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Flusswelt Der Zeit

Die Flusswelt Der Zeit

Titel: Die Flusswelt Der Zeit
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
1
     
    Als könne sie damit den Tod von ihm fernhalten, hatte seine Frau die Arme um ihn geschlungen.
    »Mein Gott«, rief er aus, »ich bin ein toter Mann!«
    Die Zimmertür öffnete sich, und in seinem Blickfeld erschien ein gigantisches, schwarzes, einhöckeriges Kamel. Der heiße Wüstenwind spielte mit den an seinem Geschirr befestigten Glöckchen und brachte sie zum Erklingen. Dann tauchte im Türrahmen ein übergroßes, von einem schwarzen Turban umrahmtes, dunkles Gesicht auf. Der schwarze Eunuch kam durch die Tür und bewegte sich dabei wie eine Nebelwolke dahin. Er trug einen überdimensionalen Türkensäbel in der Hand. Der Tod, der Vernichter aller Wonnen, der Entzweier aller Bande, die ihn an die Gesellschaft ketteten, war schließlich auch zu ihm gekommen.
    Schwärze und Leere. Er spürte nicht einmal, daß sein Herz für immer zu schlagen aufhörte. Nichts.
    Dann öffnete er die Augen. Sein Herz klopfte heftig. Er fühlte sich stark, ungeheuer stark! Der Schmerz seiner gichtgeplagten Füße, die Agonie, der seine Leber ausgesetzt gewesen war, die Folter, die sein Herz quälte – all das war plötzlich nicht mehr.
    Um ihn herum war es so still, daß er das Pulsieren des Blutes in seinem Kopf hören konnte. Er befand sich allein in einer Welt absoluter Ruhe.
    Von überallher schien ein gleichbleibendes, intensives Licht zu kommen.
    Obwohl er sehen konnte, weigerte sich sein Verstand zu begreifen. Welche Bewandtnis hatten die Objekte über, unter und neben ihm? Wo befand er sich?
    Als er Anstalten machte, sich aufzusetzen, verspürte er lähmende Panik. Es gab nichts, das Festigkeit versprach. Er schwebte in einem völlig leeren Raum. Und schon der Versuch, die Position zu ändern, hatte ausgereicht, ihn langsam nach vorne gleiten zu lassen. Es schien, als befände er sich in einer großen, mit zähflüssigem Sirup gefüllten Wanne. Fünfundzwanzig Zentimeter von seinen Fingerspitzen entfernt entdeckte er eine Stange aus glänzend rotem Material. Sie ragte aus der sich über ihm erstreckenden Unendlichkeit in die bodenlose Tiefe. Da sie jedoch das einzig solide Objekt in unmittelbarer Nähe darstellte, versuchte er, nach ihr zu greifen. Aber irgend etwas Unsichtbares hielt ihn zurück. Es schien, als hätten sich unbekannte Mächte dazu verschworen, ihn von der Stange abzuhalten und zurückzudrängen.
    Er versuchte einen langsamen Purzelbaum und kam somit bis auf fünfzehn Zentimeter an das Objekt heran. Ein Strecken des Körpers erbrachte weitere zwölf Zentimeter. Plötzlich begann sich sein Körper um die eigene Achse zu drehen. Er schnappte überrascht keuchend nach Luft. Obwohl ihm klar war, daß keine unmittelbare Gefahr existierte, war es ihm unmöglich, etwas gegen die verzweifelt nach einem Halt suchenden, panisch umherrudernden Arme zu tun.
    Wohin sah er jetzt? Nach „oben“ oder nach „unten“? Egal. Sicher war, daß er sich in eine andere Richtung gedreht hatte und jetzt ein anderes Blickfeld vor seinen Augen auftauchte. Er unterließ es, sich über dieses Problem tiefschürfende Gedanken zu erlauben, denn das, was sich nun seinen Blicken darbot, unterschied sich in nichts von der vorherigen Aussicht. Er hielt sich schwebend in einem leeren Raum auf, und irgendeine rätselhafte Kraft, die ihn wie ein Kokon umgab, hinderte ihn daran, hinunterzufallen. Zwei Meter unter sich sah er die Gestalt einer blassen Frau. Sie war nackt, völlig haarlos und schien zu schlafen. Jedenfalls waren die Augen geschlossen, während ihre Brust sich hob und senkte. Sie hatte die Beine in einer geraden Linie von sich gestreckt und die Arme stramm an den Körper gelegt. Langsam, wie ein Hähnchen auf dem Grill, rotierte sie um die eigene Achse.
    Die gleiche Kraft, die die Frau bewegte, kontrollierte auch ihn. Sie verschwand wieder aus seinem Blickfeld, und er sah andere nackte, gleichfalls haarlose Gestalten: Männer, Frauen und Kinder. Gleich der Frau unter ihm bewegten sie sich in völliger Stille. Über ihm schwebte kreisend ein nackter Neger.
    Er senkte den Blick, um sich selbst anzusehen. Auch er war nackt. Kein Haar bedeckte seinen Körper. Die Haut war glatt, die Bauchmuskulatur kräftig. Er bemerkte starke Muskeln und erinnerte sich daran, daß man jung sein mußte, um einen solch kraftstrotzenden Körper zu besitzen. Die Adern seiner Unterarme, die er als kleine, hervortretende blaue Schlangen in Erinnerung hatte, waren verschwunden. Dies war nicht mehr der Körper des todkranken, sich nichts mehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher