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Die Stadt der Engel

Die Stadt der Engel

Titel: Die Stadt der Engel
Autoren: Will Berthold
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dem Fahrer zu. Es war nicht so, als würde das elektrische Licht angeknipst; ihre Freundlichkeit war kurz, doch echt.
    Festgefrorene Schneegraupeln verwandelten die Straßen in eine Rutschbahn; die Autos schlichen dahin. »Seit Wochen dieses Sauwetter in München!« fluchte der Fahrer. »Die Fernsehansagerinnen entschuldigen sich jeden Abend, bevor sie die Prognose für den nächsten Tag verlesen.«
    Kurz vor neun Uhr erreichte das Taxi Schwabing. »Stopp!« bat die junge Frau im gesteppten Overall und stieg behende aus. »Zwei Minuten.«
    »Die erste Kundin des Tages«, begrüßte sie der Inhaber, »und sicher auch die schönste.«
    »Keine Blumen, RO!« erwiderte Dany. »Ich brauche ein Ticket nach Bangkok.«
    »Das Land des Lächelns und der Liebe«, alberte der untersetzte Mann mit den kurzgeschnittenen Haaren, Spezialist für schwierige Fälle, ein Reisemanager, den jedermann nur nach seiner Kurzform ›RO‹ nannte. »Linienflug?«
    »Auf keinen Fall!« entgegnete Dany. »Pauschalreise mit einem richtigen Liebesbomber. Sie wissen doch, RO: mit Aufsteigern und Aussteigern, mit Eheflüchtlingen und anderen Fernostliebhabern. Eine gemischte Gesellschaft auf Erobererkurs, Persilschachteln neben Louis-Vuitton-Koffern.«
    »Was Sie alles wissen!« staunte RO. »Start jeden Freitagabend 22 Uhr mit LTU. Aber nichts zu machen; ausgebucht für mindestens vier Wochen. Bangkok, das ist ein Dauerhit.« Er wurde sachlich: »Wann wollen Sie denn fliegen, Dany?«
    »So bald wie möglich.« Seinem Einwand zuvorkommend, setzte Dany hinzu: »Ich weiß doch, RO, das schaffen nur Sie.«
    Sie sprang in das Taxi. Es war nicht mehr weit bis zu dem Hochhaus an der Schleißheimer Straße. Als der Portier Dany sah, griff er zum Hörer. Sie schüttelte den Kopf und stellte ihren Koffer bei ihm ab. Der Lift katapultierte sie zur GLOBUS-Redaktion im 14. Stock hinauf, zur Tochterfirma eines weltweiten US-Magazins mit deutscher Ausgabe. Ein Teil der Wochenzeitschrift wurde von der Zentrale in New York geliefert; die übrigen Beiträge erstellte die deutsche Redaktion selbständig.
    Dany arbeitete sowohl für GLOBE INTERNATIONAL aus auch für GLOBUS DEUTSCHLAND und war dadurch eine Pendlerin zwischen München und New York. Als Tochter eines US-Diplomaten und einer Deutschen hatte sie gleich zwei Muttersprachen, und ihre Kinderzimmer waren in Bonn, Paris und London etabliert gewesen. Abitur in einem Schweizer Internat, Studium in München, dann an der Sorbonne in Paris, letzter Schliff in den USA. Mit zwanzig hatte Dany schon ihre ersten Artikel geschrieben, mit fünfundzwanzig durfte sie Reportagen bereits mit ihrem Namen zeichnen, und jetzt, mit noch nicht ganz dreißig, war sie eine vielgelesene, vielbewunderte und häufig nachgedruckte internationale Publizistin, die ihre Artikel, Interviews und Fortsetzungsserien gleich in zwei Versionen lieferte, in deutsch und in englisch. Ihr Verleger sparte die Kosten, und Dany mußte sich nicht über fehlerhafte Übersetzungen ärgern. Ihre Stories wurden stets vor Ort von ihr selbst und ihren Helfern bis in letzte Einzelheiten recherchiert. Dany hatte die Gabe, so zu schreiben, daß der Professor sie ebensogern las wie seine Zugehfrau. In Fachkreisen galt sie als ausgesprochen fair. Es war für Dany selbstverständlich, Informationen, die sie ›off the record‹ erhielt, tatsächlich unter Verschluß zu halten, bis sie freigegeben wurden.
    Der Mann, zu dem sie wollte, Dr. Frank Flessa, kam kurz aus einer Besprechung und küßte sie flüchtig. »Du überrumpelst mich nicht, Dany«, begrüßte sie der Redaktionsdirektor. »Du bist mir schon von New York avisiert worden. Deine Reportage über die neue Armut in den USA war so ziemlich das Beste, was ich in letzter Zeit gelesen habe«, konstatierte er zwischen Tür und Angel. »Zehn Minuten noch, ja?« Es war ein gutaussehender Vierziger mit braunen Augen und ersten Silbersträhnen im dunklen Haar, vom Typ her der geborene Verführer, der bei Dany lange auf der Stelle getreten war. Der notorische Junggeselle, der es immer verstanden hatte, ständige Zweisamkeit zu meiden, schlug bei der Journalistin eine Schlacht mit verkehrten Fronten.
    »Dann könnte ich mich ja inzwischen renovieren«, schlug die Besucherin vor.
    »Hier!« Flessa reichte ihr den Schlüssel zu seinem Junggesellen-Apartment im Penthouse über der Redaktion. »Bis gleich!«
    Sie betrat das Badezimmer, zog sich aus, ging unter die Dusche. Dany wußte nicht, wie lange sie dieses
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