Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)

Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Mary Kay Andrews
Vom Netzwerk:
auskundschaften wollte. War schließlich nichts mehr zum Auskundschaften da.
    Bevor sie die Nerven verlor, marschierte Ellis die Auffahrt aus Muschelsplitt hinauf. Auch hier führte ein Holzsteg in Stufen über die Dünen, genau wie bei Ebbtide. Anders als das Haus, schien er den Brand überlebt zu haben. Rasch stieg Ellis die Stufen hinauf, damit sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnte.
    Auf dem höchsten Punkt der Düne befand sich eine überdachte Aussichtsplattform. Früher musste es ein wunderbarer Ort gewesen sein, wo man sich hinsetzen, einen Cocktail nippen und die Seeluft genießen konnte. Jetzt war das anders. Einige Holzplanken waren verrottet, dem Geländer fehlten mehrere Stützen. Zwei kaputte Plastikgartenstühle lagen auf der Seite, doch es war der Ausblick, der Ellis’ Aufmerksamkeit erregte. Von hier konnte sie Nag’s Head so sehen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Die Dünen, bewachsen mit Strandgras, Strandpflaume und anderen Sträuchern, deren Namen sie nicht kannte, zogen sich bis zum breiten weißen Strand hinunter. Es war Ebbe, der Atlantik funkelte graublau in der Ferne. Hier und dort gingen Menschen am Ufer entlang, bückten sich gelegentlich, um eine Muschel aufzuheben.
    »Perfekt!«, rief Ellis. Genau in dem Moment hörte sie eine Fliegengittertür zuschlagen. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie eine Bewegung in der Wohnung über der Garage von Ebbtide. Zu den Räumen gehörte offenbar eine kleine Dachterrasse, die sich von einer Seite nach hinten zog. Ein Mann trat nach draußen. Ellis konnte ihn deutlich sehen – du lieber Gott! –, er war halbnackt!
    Er war barfuß, tief gebräunt und hatte zerzaustes, sonnengebleichtes, braunes Haar. Eine weiße Boxershorts hing ihm tief auf den schmalen Hüften. Er drehte sich um, blickte zum Meer, gähnte und streckte sich. Und während Ellis vor Staunen und Empörung die Kinnlade herunterfiel, pinkelte der Typ von der Dachterrasse herunter.
    Dabei ließ er sich gründlich Zeit. Ellis war außerstande, sich zu bewegen, ihr Gesicht war rot vor Scham. Als er schließlich fertig war, reckte er sich erneut und drehte sich um. In dem Moment entdeckte er Ellis, eine einsame Gestalt in pinkfarbener Caprihose und weißem T-Shirt, in deren langem dunklen Haar die Meeresbrise wehte.
    Ungezwungen lächelte der Mann ihr zu. Seine Zähne waren weiß und ebenmäßig, sie sah den goldenen Schatten eines Dreitagebarts. Lässig winkte er herüber. »Hi!«, rief er. »Wie geht’s?«
    Ellis brachte nicht mehr als ein ersticktes »Hi« hervor. Dann floh sie so schnell über die Treppe zurück, wie ihre Füße in den Flipflops sie tragen konnten.

2
    Ellis sprang in den Accord und setzte so hastig rückwärts auf die Fahrbahn, dass sie beinahe den Briefkasten von Ebbtide gerammt hätte. Das war die Strafe für das unerlaubte Betreten des Grundstücks, dachte sie. Ein ungehinderter Blick auf einen Sittenstrolch. Sie sah über die Schulter zur Garagenwohnung, um sich zu vergewissern, dass der Mann nicht noch einmal auf der Dachterrasse auftauchte und nach ihr Ausschau hielt. Aber er war nicht mehr zu sehen.
    Hoffentlich, dachte Ellis, gehörte ihm der Bronco in der Garage. Hoffentlich würde er in wenigen Stunden Ebbtide verlassen und wäre längst verschwunden, wenn sie einzog. Hoffentlich!
    Doch was sollte sie in der Zwischenzeit mit sich anstellen? Die Straße hinunter war ein Outletcenter, aber das öffnete wahrscheinlich nicht vor zehn Uhr. Ellis musste Lebensmittel einkaufen, wollte aber nicht, dass die gekühlte Ware stundenlang im heißen Auto lag.
    Ziellos fuhr sie die Straße entlang, bis sie an einem Restaurant vorbeikam, an dem ein Schild versprach: Frühstück ganztägig – jeden Tag . Der Parkplatz war voll. Ellis entdeckte sogar zwei UPS-Wagen, was auf einen halbwegs anständigen Laden schließen ließ, wie ihr Vater ihr vor Jahren erklärt hatte.
    Im Lokal führte die Kellnerin sie an einen Fenstertisch, und Ellis bestellte Rührei, Putenwurst und einen Muffin. Ohne Butter. Keinen Kaffee. Sie war ja längst hellwach. Stattdessen bat sie um Eiswasser und Grapefruitsaft.
    Als die Speisen serviert wurden, aß sie nur langsam, damit die Zeit schnell verging. Es herrschte Trubel; kleine Kinder rannten lachend zwischen den Tischen umher, in der Luft lag das aufgeregte Geplauder von urlaubenden Familien und Freunden. Als Ellis fertig war, holte sie ihr iPhone hervor und prüfte die E-Mails.
    Das iPhone war neu. In all den Jahren, die sie bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher