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Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)

Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
Autoren: Mary Kay Andrews
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    Es war kein vielversprechender Anfang für einen Urlaub, geschweige denn für ein neues Leben. Der Regen begleitete Ellis die gesamte Ostküste hinunter, peitschte gegen die Windschutzscheibe und erfasste ihren Wagen abwechselnd von allen Seiten. Bei diesen heftigen Sturmböen gelang es ihr so gerade, in der Spur zu bleiben.
    Es war ihre eigene Schuld, fand Ellis. Sie hätte sich an ihren ursprünglichen Plan halten sollen: zu einer vernünftigen Zeit aufstehen und mindestens bis Tagesanbruch warten, um die Fahrt von Philadelphia nach North Carolina anzutreten. Stattdessen hatte sie auf eine verrückte Eingebung hin ihr Haus kurz nach Mitternacht abgeschlossen und war aufgebrochen.
    Es war eine völlig untypische Entscheidung für Ellis. Aber schließlich war ihr altes Leben in Philly vorbei. Und irgendwann auf der langen Fahrt Richtung Süden hatte sie das Gefühl gehabt, ein neues Leben würde auf sie warten. Am Meer. Im Sommerurlaub.
    Ellis holte tief Luft und kreiste mit den Schultern, zuerst vorwärts, dann rückwärts, um die Verspannungen durch die sechsstündige Autofahrt zu lockern. Sie griff nach dem Kaffeebecher im Halter ihres Honda Accord und nahm einen großen Schluck, um die Müdigkeit zu vertreiben.
    Eine Stunde später sah sie das Schild: Nag’s Head, 132 Meilen. Ellis lächelte. Der Regen war zu einem leichten Nieseln geworden. Gegen sieben Uhr würde sie an dem Haus ankommen, das den Namen »Ebbtide« trug.
    Ihr Lächeln verblasste. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht, so früh aufzubrechen? Gemäß der von ihr unterschriebenen Vereinbarung war das Haus erst ab zwei Uhr nachmittags bezugsfertig.
    Sie verfasste in Gedanken eine E-Mail an sich selbst:
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: verunglückte Planung = geplantes Unglück
    Aber die Nachricht musste noch in der Warteschleife ausharren. Der Highway stieg an, Ellis befand sich auf einer langen, sanft geschwungenen Brücke. Wieder so eine verflixte Brücke! Es war bestimmt die letzte. Auf der Chesapeake Bay Bridge war ihr schon ziemlich mulmig zumute gewesen. Ellis spürte, wie sich ihre Gesichtsmuskeln verkrampften, ihre Finger das Lenkrad umklammerten, ihr Herz raste. Ein Schweißtropfen rann ihr über den Rücken.
    Nag’s Head befand sich auf der Inselkette Outer Banks vor der Küste von North Carolina. Wochenlang hatte sich Ellis mit Reiseführern, Landkarten und Routenplanern beschäftigt. Sie hatte sich mit der Geographie, ja sogar mit der Topographie der Insel vertraut gemacht. Nur eines hatte sie sich verboten: an die Sache mit den Brücken zu denken. Denn es war so: Brücken, selbst lächerliche Querungen wie die Sam Varnedoe Bridge zu Hause in Savannah, die Whitemarsh Island mit Wilmington Island verband, jagten Ellis Sullivan eine Heidenangst ein – wie ihre Freundinnen nur zu gut wussten.
    Sie richtete den Blick unverwandt geradeaus, wagte nicht, nach rechts oder links auf das unter ihr fließende Wasser zu schauen. Als sie die Brücke schließlich hinter sich ließ, hatte sie feuchte Hände, und ihr T-Shirt war schweißgetränkt.
    Jetzt war sie tatsächlich auf den Outer Banks angekommen. Schilder kleiner Ortschaften huschten vorbei: Corolla, Duck, Southern Shores, Kitty Hawk, Avalon Beach. Die Sonne ging auf, und Ellis war ein wenig befremdet, wie dicht bebaut die Uferzone war. Sie hatte damit gerechnet, Strandgrasfelder vor glitzerndem blauen Wasser zu sehen; ankernde Segelboote, mit grauen Schindeln verkleidete herrschaftliche Häuser, die düster über dem Meer thronten, hin und wieder einen Leuchtturm. Tatsächlich hätte das, was sie bisher von den sagenumwobenen Outer Banks gesehen hatte, genauso gut der Strand von Jersey sein können, von Myrtle Beach, Ft. Lauderdale oder jeder anderen Touristenhochburg an der Ostküste. Auf den Outer Banks sah man nämlich meilenweit zu beiden Seiten der Straße ausschließlich Hotels und Motels, Restaurants und Einkaufsstraßen, dazu verstellten Apartmentkomplexe und dicht an dicht gebaute, riesige pastellfarbene Strandhäuser den Blick auf den Ozean.
    Ellis folgte der Route 12 nach Süden, und als die Computerstimme des Navigationsgeräts sie anwies, erst nach links und dann nach rechts abzubiegen, wusste sie, dass es nicht mehr weit war. Die Küstenstraße war der Virginia Dare Trail. Zumindest hier gab es ein wenig Platz zwischen den Häusern. Ein oder zwei Mal erhaschte Ellis sogar einen Blick auf Dünen und Strandgras. Schließlich
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