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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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erklären wollen, warum es schiefgehen musste? Nein, er hatte eigens das vom Klub bezahlte Hotelzimmer als Dauerquartier gewählt, als er vor drei Jahren hierher wechselte. Da war er autark, da hatte er jedes Service, Restaurant, Theke, Schwimmbad, Sauna, alles im Haus. Und auch den weiblichen Chef de Rang, der ihm auf diesem Kingsize-Bett schöne Momente beschert hatte.
    Soll ich sie anrufen? Er verwarf die Idee. Sie würde von ihrem Chef, dem Hotelbesitzer und Mit-Sponsor des Clubs, längst von der Niederlage wissen, würde ahnen, dass es sich um ein letztes Mal handelte. Das konnte er nicht brauchen. Er kontrollierte die Minibar. Die vier Flaschen Bier müssten fürs Erste reichen, dachte er.
    Das Telefon läutete. Der Anrufer war ein Spielevermittler.
    »Ihr seid draußen, höre ich.« Der Center bejahte.
    »Pass auf, du kannst in der Saison noch gutes Geld verdienen. Ich habe dich einem deutschen Zweitligisten angeboten, der gute Chancen hat aufzusteigen. Die haben einen verrückten Fleischproduzenten an der Hand, der noch einen Stürmer fürs Playoff bezahlt.«
    »Welcher Club ist das?«, fragte der Center. »Der EC Stadtlingen.«
    Bilder tanzten vor seinen Augen, als wäre er mit dem Kopf voran in die Bande gefahren. Stadtlingen. Seine Heimat. Dort, wo alles begonnen hatte. Wo er nach dem Abitur vor der Frage stand: Studium oder Eishockey-Profi? Wo sie ihm damals einen Dreijahresvertrag angeboten hatten, der den Zwanzigjährigen zum wohlhabenden jungen Mann machte. Wo er Idol der eishockeyverrückten Studentinnen und Studenten war, denn Stadtlingen hatte immerhin eine Universität mit einigen Fakultäten. Sein Stadtlingen, wo die Lichter schwingenden Fans Tränen in den Augen hatten, als er sich verabschiedete, um den Angeboten aus den ersten Profiligen zu folgen. Jenes Stadtlingen, wo er die Reise begonnen hatte, die jetzt zu Ende ging.
    »Natürlich mache ich das«, sagte er dem Agenten. »Weißt du übrigens, dass ich dort angefangen habe?«
    »Hab ich ganz vergessen«, kam die Antwort.
    Der Center öffnete die vierte Flasche Bier. Im Fernsehen lief Wrestling ohne Ton. Ich werde
meinen
Club hinauf schießen, dachte er. Und sah sich übers Eis flitzen wie damals, zehn Kilo leichter. Erinnerte sich an die leuchtenden Augen der schönen Fan-Artikel-Verkäuferin, als er sie ansprach.
    Sie werden mich alle mögen. Sie werden es schön finden, dass ich zum Ende der Karriere ihnen noch einmal helfe.
    Da fiel ihm ein: Wenn die wirklich aufsteigen, können die mir doch guten Gewissens keinen Vertrag mehr geben. Für ganz oben kann’s doch nicht mehr reichen!
    Wer sagt das? Er spannte die schmerzenden Muskeln am ganzen Körper an. Wer sagt das?
    Dann schlief er vor dem laufenden Fernsehbild und bei brennender Zimmerbeleuchtung ein.
    Der Schlaf war leicht und nicht friedlich.
    Der Center stand in voller Eishockeymontur im Wrestling-Ring und schlug auf die grell geschminkten Wrestler ein. Aber die waren körperlos. Er schlug durch sie durch. Er konnte sie nicht verletzen. Das machte seinen Erschöpfungsschlaf noch unruhiger.
    Der Architekt hielt eine kleine Rede. Er hatte seine weiblichen und männlichen Mitarbeiter im Zentrum des schicken Ateliers versammelt, hatte Champagner – ausdrücklich
Champagner
– und eine riesige Meeresfrüchteplatte mit Baguettes kommen lassen und hielt jetzt das Glas in der Hand. Die Mühen hätten sich gelohnt, die Leistung aller sei untadelig gewesen, der erste Platz bei dieser Ausschreibung sei ein riesiger Erfolg, allerdings, das müsse dazugesagt werden, auch ein lebensnotwendiger, denn sonst hätte das Architekturbüro mit diesem personellen Aufwand nicht mehr weitermachen können. Nun sei aber keine Zeit mehr an graue Gedanken zu verschwenden, nun gelte es nur mehr zu feiern.
    Lässig gestylte junge Menschen stießen miteinander an. Das Ambiente des Ateliers passte zu ihnen und sie zu ihm. Sie sahen so aus, als hätten sie sich selbst als Dekoration dieses Raumes entworfen. Mancher Blick streifte noch einmal das in der Raummitte aufgebaute Modell. Es gab den einen oder anderen Kommentar. Heitere Vermutungen wurden angestellt, warum die Jury nicht umhinkonnte, diesen Entwurf an die erste Stelle zu reihen. Wer von unserem Team kann überhaupt Schlittschuh laufen?, wurde gefragt.
    Das Modell zeigte ein Eisstadion. Zwei, in eine große geteilte Halle eingebaute, von Tribünen gesäumte Eisflächen, mit zugeordneten Umkleidekabinen, VIP-Raum, Fan-Shop, Buffets und auch vermietbaren
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