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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Oder war es gar keine Rache? War es ein echtes, auf das Wesentliche reduziertes Tagebuch? Das Notat des Bodensatzes jeglicher Existenz?
    Zu klären war das nicht. Und Ehrlichkeit war schon überhaupt nicht mehr möglich.
    Zwei Stunden später rief er den Barbesitzer an und erzählte von einem spannenden, hochinteressanten Text, den man vielleicht noch würde ein wenig kürzen müssen, oder, wie er gerne zu sagen pflegte, in der Sauna ausschwitzen lassen. Aber ganz sicher würde er in der geplanten Anthologie »Geschichten und Abergeschichten« des Herbstprogramms vorkommen. In einem Dankesbrief seines Freundes las der Jungverleger dann drei Tage später, dessen Frau habe bei der Mitteilung richtig gelacht, so glücklich sei sie gewesen.
    Der Jungverleger druckte in der Anthologie »Geschichten und Abergeschichten« den Text ab, in dem ein Geiger gegen einen Krebs angeigte. Seine Mitarbeiter begriffen diese Wahl nicht. Sie erhielten aber keine Auskunft. Man einigte sich auf den Verdacht einer Liaison.
    Eines der ersten Exemplare des Bandes überbrachte der Jungverleger seinem Freund persönlich in die Bar. Er begründete die Wahl des älteren Textes mit dem thematischen Bogen des Buches. Den letzten Text, den aus der Klinik, würde er vielleicht einmal in anderem Zusammenhang publizieren können, mit dem Schwerpunkt Tod. Der Barbesitzer nahm das Buch, dessen Rückseite die Namen der beteiligten Autoren alphabetisch aufzählte, so auch den seiner Frau, zärtlich in die Hand.
    »Das werde ich dir nie vergessen.«
    Das »Schade, dass sie es nicht mehr erlebt hat« brachte er nicht mehr heraus.
    Auch die offizielle Buchpräsentation fand in dieser Bar statt, obwohl die viel zu vielen Gäste keinen Platz darin fanden. Ein Kenner gratulierte dem Jungverleger unter besonderem Hinweis auf dessen Fähigkeit, immer wieder neue, interessante Autoren aufzuspüren.
    Spät in der Nacht gestand der Barbesitzer, er werde das Lokal nicht mehr halten können und ein Engagement als Klavier-Entertainer bei einer großen Hotelkette antreten. Nicht das auch noch, dachte der Jungverleger.

Karrieren
    Der Center schälte sich aus seinem Panzer. Der Schweiß tropfte in den kleinen See zu seinen Füßen. Das Match war verloren. Die Eishockeymannschaft des Schweizer Erstligisten hatte damit die Meisterrunde verpasst. Von draußen hörte man noch vereinzeltes Pfeifen, Rufe wie »Scheißmillionäre!«, aber auch »Wir kommen wieder!«.
    Die Saison war also zu Ende. In der Kabine war es ruhig. Der Trainer war gar nicht mehr im Raum. Ein amerikanischer Flügelstürmer tat noch so, als ob er sich kränkte, nannte den Hauptschiedsrichter einen »fucking bastard«, aber er klang nicht sehr glaubwürdig. Gerade die Cracks aus Übersee hatten während des ganzen Spieles nicht erkennen lassen, den auf dem Papier favorisierten Gegner auf heimischem Eis niederkämpfen zu wollen. Sie waren im Unterbewusstsein wohl schon auf dem Flug nach Hause, oder sie hatten – für den Fall des Ausscheidens – längst Vorverträge für Playoffs in Deutschland, Italien oder Österreich.
    Der Center latschte unter die Dusche. Er wollte ganz lange drin bleiben, um sich einige der vielen Abschiede zu ersparen. Es waren zu viele gewesen. Saisonen, Clubs, Mitspieler. Alles tat ihm weh. Er hatte gegeben, was seinem 37-jährigen Körper noch möglich war. Zwei, drei entscheidende Sprints hatte er verloren, das wusste er. Einmal war er so knapp nicht an die Scheibe gekommen, dass die Wut unkontrollierbar wurde. Er rammte dem ihn abdrängenden Verteidiger den Ellenbogen ins Gesicht. Die anschließende Prügelei bescherte dem Center eine Platzwunde über dem linken Auge. Drei Stiche ohne Narkose, zwei und zwei Strafminuten, und er war schon wieder auf dem Eis.
    Wozu?, fragte er sich jetzt. Das ist doch alles schon sinnlos. Ich kann noch mitfahren. Das schon. Aber das Spiel an mich reißen, die anderen mitziehen, das geht nicht mehr. Morgen werden sie mir sagen, dass ich für die nächste Saison keinen Vertrag mehr bekomme. Das werde ich mir gar nicht anhören. Da bin ich schon weg. Die Restgage geht aufs Konto.
    Er sah sich im Bad seines Hotelzimmers im Spiegel. Schön war das Auge nicht, aber dergleichen Anblicke waren ihm vertraut. Die Brückenpfeiler der letzten Zahnprothese hatten die Saison erstaunlicherweise unbeschadet überstanden. Es war keine Nachbesserung nötig.
    Was noch anfangen mit der Nacht? Fortgehen? Auf keinen Fall. Womöglich an Theken Fans treffen, die ihm
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