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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Jungverleger kannte. Wortfetzen, die sich mit dem vorangegangenen Kunstereignis befassten, machten es ihm unmöglich, in ein Gespräch einzusteigen. Er trank vor sich hin. Einigermaßen entspannt, denn das Vertretergespräch war sehr in seinem Sinne verlaufen.
    Der Barbesitzer hatte zunächst kaum Zeit für ihn, er musste als Hausherr die Honneurs machen und ausgiebig gratulieren. Er hatte dieser Premiere natürlich beigewohnt.
    Erst viel später konnte er sich »in Ruhe« zu seinem Freund setzen. Der war zu diesem Zeitpunkt schon leicht blau, also für ein professionelles Gespräch nicht mehr ideal disponiert. So geriet ihm seine Begründung, warum die Literatur der Frau seines Freundes in seinem Verlag keinen Platz hätte, zu sehr als Lob der Dichtung. Es handle sich fraglos um eine hoch begabte Person, aber ein Verlagsprogramm habe einen gewissen Charakter, und der Charakter seines Verlagsprogramms sei eben ein gegensätzlicher. In den von Natur aus traurigen Augen des Barbesitzers tauchte immer wieder einmal ein glückliches Leuchten auf. Er hörte nur die positiven Wendungen in der Suada seines Gegenübers. Als die Premierenfeier schon in Agonie übergegangen war, ging er mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck in seine Bürokammer und kam mit einem Text zurück.
    »Das ist das Letzte, was sie geschrieben hat. Und du bist schuld daran. Du hast es angeregt. Ich habe deine Anregung nämlich weitergegeben. Es ist
meine Geschichte

    Der Jungverleger fühlte sich gut. Groß. Er war Pate eines Werkes, hatte wahrscheinlich eine Verirrte auf den rechten Weg zurückgebracht.
    »Das interessiert mich brennend«, sagte er.
    Wie er ins Hotel gekommen war, wusste er nicht mehr so genau. Da waren noch Bilder von einem Gespräch mit einer Tänzerin, dann Ohrfeigenandrohungen von einem sehr athletischen Tanzkünstler und die Stimme des Barbesitzers, der einem Taxifahrer den Hotelnamen nannte.
    Neben dem komplett bekleideten Jungverleger lag auf dem Bett ein Manuskript. Jetzt erinnerte er sich an alles. Er begann sofort nach dem Duschen zu lesen.
    Er wurde immer verstörter. Er las manches zweimal. Es half nichts. Diese dem Umfang nach Erzählung – Novelle?–, sollte die Geschichte des tschechischen Emigranten sein? Des klassischen Musikers, der sich in einer politisch motivierten Prügelei seine Karriere ruiniert hatte, der eine Großbürgertochter auf Abwegen kennen- und lieben gelernt hatte und der …? Alles, was den Jungverleger an der ihm bekannten Vita interessiert hätte und von dem er überzeugt war, es würde auch Leser interessieren, kam nicht vor. Und wenn, dann so verklausuliert, dass es nicht erkennbar war. Der Musiker war ein Geiger geworden, und sie eine Krebskranke, für die er eine »heilende Melodie« schreiben wollte. Den Jungverleger schüttelte es. Das mit dem Krebs war ihm zu viel.
    Das ist Kitsch, das kann mir keiner einreden, dass das nicht Kitsch ist. Auf einmal kommt da der Krebs daher, der mit der Geschichte nichts, aber auch schon gar nichts zu tun hat. Nein, aus, ein für alle Mal! Und diesmal werde ich es ihm auch knallhart sagen.
    Er sagte es ihm nicht knallhart. Aber er sagte es ihm. Und das Wort »Kitsch« fiel. Möglicherweise in Verbindung mit einem »fast schon«. Und irgendwann begann er es auch mit den Opernschlüssen zu vergleichen, die auf dem Eintreten von Schwindsucht basieren. Die beiden Männer saßen in einem Kaffeehaus. Der Jungverleger wollte das Manuskript zurückgeben. »Du kannst es behalten«, sagte der Barbesitzer, »es ist eine Kopie. Sie soll nicht wissen, dass du es schon gelesen hast.« Er war seinem Gegenüber nicht böse. Aber er strahlte eine nicht mehr konsumierbare Traurigkeit aus.
    Vor dieser Traurigkeit hatte der Jungverleger Angst. Die wenigen Male, die ihn der Weg im Laufe etwa eines halben Jahres in die Hauptstadt führte, mied er die Bar. Immer wieder nahm er sich vor, wieder einmal vorbeizuschauen, zumal wenn in der Gesellschaftsspalte etwa zu lesen war, eine rumänische Pantomimin oder Künstler ähnlicher Exotik hätten dort einen Erfolg gefeiert. Eines Tages meinte er endlich, es sei genug Zeit vergangen, man müsse jetzt wohl nicht mehr über die Literatur der schreibenden Frau reden.
    »Schön, dass du von selbst kommst«, sagte der Barbesitzer. »Ich hätte dich in diesen Tagen angerufen und gebeten zu kommen.«
    Die Bar war fast leer. Der Jungverleger dachte: Das ist Kitsch, dass die Bar so leer ist. Das passt zu sehr zur Situation. Das ist Kitsch.
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