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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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Konferenzräumen. Der Komplex war geschickt in die Umgebung hineingestellt, sodass auch reichlich Parkplätze vorhanden waren. Alles sah aus, als ob auszuschließen wäre, in dieser Halle jemals verlieren zu können.
    Je ausgelassener die Stimmung wurde, desto melancholischer wurde der Architekt, ein schmaler, nerviger Typ, 37 Jahre alt. Er fühlte sich, wie sich Menschen häufig fühlen, die eine schwere Prüfung bestanden haben, erleichtert und doch leer und zerschlagen. Er hatte in diesen Wettbewerb viel investiert, hatte Schulden gemacht, es war ihm, dem sie immer höchste Begabung zugestanden hatten, zu blöd geworden, Villen zu modernisieren oder Ideen reicher Privatleute umzusetzen. Er wollte aufsteigen. In die erste Liga. Und so hatte er von sich verlangt, die Ausschreibung der Eishalle für seine Heimatstadt Stadtlingen zu gewinnen. Er wusste natürlich, warum er zu dem Wettbewerb überhaupt eingeladen worden war. Ein wichtigtuerischer Sportreferent der Stadt hatte in einer Ausschuss-Sitzung gefragt, ob man denn vergessen habe, dass das einstige große Tormanntalent des EC Stadtlingen Architekt geworden sei, schon während des Studiums mit mehreren Stipendien aufgrund hervorragender Leistungen ausgezeichnet. Zuletzt habe er die Villa des bekannten Seifenproduzenten gebaut, er sei in der Illustrierten sogar an der Seite dieses Mannes abgebildet gewesen.
    Die Mehrzahl der im Stadtparlament vertretenen Parteien hatte sich von dieser Information beeindruckt gezeigt und der Einladung zur Beteiligung am Wettbewerb zugestimmt. Gestandene Stadtpolitiker konnten sich noch an den katzenartigen Goalie erinnern, denn es war in Stadtlingen seit eh und je für Politiker undenkbar, sich nicht beim Eishockey blicken zu lassen und mitzureden.
    Der Architekt besah sich die ausgelösten Krevetten in dillgewürztem Öl, bekam Appetit, verspürte aber gleichzeitig Magenschmerzen. Er stellte den Teller wieder ab, ohne etwas genommen zu haben.
    Ich habe genug fressen müssen für diesen Auftrag, dachte er sich. Bekannte aus Stadtlingen hatten ihm von Anfang an gesagt, es sei unerlässlich, sich um den Verlauf der Vergabe zu kümmern. So fuhr er hin in seine ungeliebte Geburtsstadt, besuchte seine Eltern, die ihm versicherten, wie sehr sie sich freuten, dass ihr Sohn zum Wettbewerb eingeladen sei. Sie ließen ihn allerdings auch wissen, es wäre doch eine arge Schande für sie, würde er ihn nicht gewinnen. Der pensionierte Gymnasialprofessor zeigte ihm in väterlicher Obsorge eine aufgehobene Zeitungsseite, die einen von einem deutschen Architekten entworfenen Wolkenkratzer in Chicago abbildete.
    Und da waren noch die Abendessen mit dem Bürgermeister, den Vertretern der Opposition, den Journalisten, die Teilnahme am Stadtball, der Tanz mit der Frau Bürgermeister, die er so charmant wie möglich anlächelte, obwohl er auf ihren Beckendruck schon aus optischen Gründen keinerlei Wert legte. Er hatte mit allen und jedem geredet, von dem man ihm gesagt hatte, rede mit dem, das nützt. Er kam sich wie eine Nutte vor, aber er kämpfte verbissen.
    Es war die Verbissenheit, die den Achtzehnjährigen ausgezeichnet hatte, als er im wichtigen Meisterschaftsspiel für die beiden verletzten Standardtorhüter nachrücken musste. Die kommen nach mir nicht mehr wieder, hatte er sich geschworen. Die Sportseiten sprachen von einem sensationellen Debüt, und eine Woche danach wurde ihm der Profivertrag vorgelegt. Er hatte um den Vertrag gekämpft.
    Er hatte ihn haben wollen, unbedingt haben wollen. Er ahnte zwar vorher, er würde ihn nicht unterschreiben. Aber er wollte gewonnen haben. Jedes Mittel war mir recht, erinnerte er sich. Damals schon. Die Frau des Trainers war mir zu alt und zu versoffen, aber ihr Einfluss auf ihren Mann konnte nicht schaden. Recht geschah ihm, diesem Idioten, zwei Mann mussten wegen Verletzung ausfallen, damit er draufkommen konnte, wer hier der Beste ist. Die blöde Kuh hat mich dann nicht mehr gegrüßt, wie ich nicht unterschrieben habe. Wie wird sich das mit der Frau des Bürgermeisters regeln? Die hat mich mit den Juroren zusammengebracht, wo auch immer. Es war mit jedem Juror wie damals mit dem Puck. Wo der war, war ich.
    Strich, wenn ich ehrlich bin, Strich.
    Aber ich hätte es geschafft. Im Eishockeytor. Bis in die Spitze. Die Bürgermeisterin hätte ich mir erspart.
    Eishockeyprofi, das hätte ich meinen Eltern nicht antun können. Aber nicht ungerecht sein. Ich wollte studieren.
    Die Stimmung unter den
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