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Die Socken des Kritikers

Die Socken des Kritikers

Titel: Die Socken des Kritikers
Autoren: Werner Schneyder
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er damit seine Position als teure Autorität in Frage stellte.
    Der Baumeister kam mit Verspätung. Er habe noch einmal alle Unterlagen auf das Sorgfältigste geprüft.
    Der Architekt zwang ihn Punkt für Punkt vor dem entscheidenden Zeugen zu erklären, die Pläne seien unmissverständlich und exakt kalkulierbar gewesen, eine Nachforderung während der Ausführung durch nichts zu begründen. Der Baumeister sprach von üblem Asphaltjournalismus, von gezielter Diffamierung durch die dem politischen Gegner nahe stehende Konkurrenz. Nein, es müssten schon außergewöhnliche Umstände eintreten, dass man nicht im Rahmen der Kalkulation bleiben könne, ließ sich der Baumeister die übliche Hintertür offen.
    Nachdem die Herren eine Presseaussendung beschlossen hatten, erkundigte sich der Bürgermeister nach des Architekten Abendprogramm. Da der keines hatte, außer der Übernachtung in der Juniorsuite des neuen Hotels, fragte der Bürgermeister, ob der Architekt denn nicht wisse, dass heute die finale Partie um den Aufstieg gespielt werde.
    »Da entscheidet sich’s, welche Mannschaften in der nächsten Saison in unserer, in Ihrer – also in unserer – Halle spielen werden.«
    Der Architekt hatte sich vor siebzehn Jahren geschworen, nie mehr im Leben ein Eishockeyspiel live sehen zu wollen, zu viel Angst hatte er, die Wehmut könnte ihm das Herz zerschneiden. Aber jetzt riss ihn die juvenile Nervosität des Bürgermeisters und Baumeisters mit. »Keiner wird es wagen …« schwebte durch den Raum und verwandelte die Männer in Halbwüchsige.
    Die Halle war übervoll. An die tausend mussten wegen Platzmangels heimgeschickt werden. Karten wurden vor der Halle um den zweifachen Preis an den Mann gebracht.
    Der Architekt saß in der VIP-Loge und musste sich von allen Seiten, auch den politischen, sagen lassen, jetzt sehe er einmal live, wie wichtig der Neubau dieser absolut nicht mehr zeit- und leistungsgemäßen, der Bedeutung dieser Eishockeystadt in keiner Weise genügenden Halle sei.
    Der Architekt hörte alles nur von ferne. Sein Puls war auf 100. Der Fanclub auf der Stiege 11 brüllte pausenlos. Der Architekt meinte, sie skandierten auch seinen Namen. Er sah auf den Drahtkasten, in dem der Goalie des EC Stadtlingen stand. Die Arschbacken rutschten im Rhythmus der Positionswechsel des Tormannes hin und her. Dem Tormann sprang eine Scheibe weg, ohne böse Folgen. Ist der wahnsinnig?, wischte sich der Architekt den Schweiß von der Stirn, den halte ich heute noch mit einem Zahnstocher fest.
    Der Center hielt sich an die Anweisungen des Trainers. Er checkte erst im Mitteldrittel, lauerte auf Fehler der gegnerischen Verteidiger. Und schon schlug einer über die Scheibe. Der junge Flügelflitzer brachte sie an sich und fuhr in Richtung Tor. Du musst mitfahren, sagte das Unterbewusstsein des Centers. Zum ersten Mal an diesem Abend brannten die Lungen. Aber er war im goldenen Moment vor dem Tor, als der Querpass kam. Stadtlingen führte 1:0.
    Der Architekt sprang wie alle auf, umarmte links und rechts Leute, von denen er nicht wusste, ob sie Fremde oder alte Bekannte waren. In den abklingenden Jubel nannte der Platzsprecher die Namen des Assistgebers und des Torschützen. Der Architekt musste den Namen überhört haben, als vor Beginn des Spieles die Aufstellung angesagt worden war. Wahrscheinlich hatte er noch im verwahrlosten alten VIP-Raum einen Aufwärmschnaps getrunken. Dann hatte er den Center des dritten Sturms wohl als langsam, aber sehr gediegen befunden, doch hinter dem Plastikschutz nicht erkannt. Jetzt war ihm klar, wer der Mann war.
    Der spielt noch? Noch immer? Und hier?
    Er ließ sich von einem kundigen Nachbarn das kürzlich erst erfolgte Engagement für das Play-off erklären. Voll des ungebremsten pubertären Neides starrte der Architekt nur mehr auf den Center. Ob er nun auf der Bank saß oder auf dem Eis war.
    Wenn der noch spielt, könnte ich ja auch noch. Welcher Irrsinn hat mich geritten, nicht Eishockeyspieler zu werden, nicht da draußen zu stehen und den Gegner in die Verzweiflung zu treiben, anstelle dieses nur vom Glück gesegneten Dilettanten in unserem Tor?
    In der zweiten Drittelpause stand das Spiel remis. Im VIP-Raum ließ sich der Architekt mit der Clubgeschichte seit seinem Ausscheiden ein. Er erzählte dem Gesprächspartner, der Center und er seien damals die einzigen Abiturienten der ersten Mannschaft des Clubs gewesen. Sie hätten auch miteinander geredet, ob sie beim Sport bleiben oder
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