Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch
Autoren: Martin Schueller
Vom Netzwerk:
Spacko wirklich ist. Und dann feststellen, ob er tatsächlich
verschwunden ist.«
    »Des mach i a. Aber i woaß ned, wie lang’s dauert. Und
wenn’s regnt? Dann san die Spurn da drobn fort.«
    Schwemmer lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah
aus dem Fenster. Dicke Wolken hingen um die Spitze des Wank. Es sah nicht
direkt nach einem Gewitter aus, aber das Aprilwetter war seit Tagen typisch
unstabil.
    Er sah Frau Kindel an, und sie erwiderte seinen Blick.
Nicht unsicher oder verlegen, sondern klar und geradeaus. Sie war sich der
Situation vollständig bewusst. Sie wusste, dass sie Unmögliches verlangte.
    Aber sie hatte keine Wahl. Denn sie wusste, was sie
wusste. Und sie hatte getan, was ihr blieb: den Schwarzen Peter bei Schwemmer
ablegen.
    Er griff nach dem Telefon und wählte das K 3
an.
    »Habt ihr einen Mann frei, für eine Stunde etwa?«,
fragte er, als der Kollege sich meldete.
    »Das ist schlecht«, erhielt er zur Antwort. »Dräger
ist noch nicht aus Grainau zurück. Und zwei Mann haben Grippe. Ich bin der
Einzige hier im Moment. Ist es dringend?«
    »Nein, vergessen Sie’s«, sagte Schwemmer und legte
auf.
    Wieder sah er zu Frau Kindel, die unverwandt seinen
Blick erwiderte. Er konnte sie warten lassen, bis Dräger wieder da war. Das
mochte noch eine gute Stunde dauern, in der sie auf dem Gang den misstrauischen
Blicken der Kollegen ausgesetzt war, während die interne Gerüchteküche
brodelte.
    Er konnte Schafmann schicken, aber das würde weder der
noch Frau Kindel wollen.
    Er konnte sie wegschicken.
    Kopfschüttelnd und mit einem kleinen Seufzer stand er
auf und öffnete die Tür zum Vorzimmer.
    »Frau Fuchs«, sagte er. »Ich bin mal eine Stunde aus
dem Haus.«
    * * *
    Johanna folgte in ihrem kleinen japanischen Auto dem
dunkelblauen Passat des Kommissars. Er hatte sie nicht gebeten, in seinem Wagen
mitzufahren, und das war ihr auch recht. Sie fühlte sich unwohl mit fremden
Menschen in einem Auto, litt unter der erzwungenen Nähe. Trotzdem war ihr schon
klar, dass diese nicht erfolgte Aufforderung weniger eine Unhöflichkeit als ein
Zeichen der Distanz war.
    Dieser Schwemmer war ihr nicht unsympathisch. Er
wirkte um einiges menschlicher und einfühlsamer als Hauptkommissar Lortzig, den
sie immer als grob empfunden hatte, jedenfalls im Umgang mit ihr, damals. Er
hatte sie angeschrien, nach Kuglers Freispruch, als sei das alles ihre Schuld.
Dabei hatte sie nur die Wahrheit gesagt. Hatte dem Richter von dem Adler
erzählt und die Fragen des Verteidigers beantwortet, so gut sie konnte. Aber
das war nicht gut genug gewesen. Seine Fragen waren immer schärfer geworden und
die Stimme immer höhnischer, und irgendwann hatte das Publikum angefangen zu
kichern und bald darauf zu lachen, und sie hatte ihre Tränen nicht mehr
kontrollieren können. Gedemütigt wie eine dumme, kleine Pute hatte sie
dagestanden, eine erwachsene Frau, Mitte fünfzig damals schon, Mutter und
Großmutter.
    Sie hatte vor all diesen höhnischen Menschen geweint
und sich schon dort, im Gerichtssaal zu München, geschworen, dass sie niemals
und niemandem mehr etwas berichten würde von dem, was der Adler ihr zeigte. Sie
würde nie mehr darum betteln, dass ihr geglaubt würde, was sie doch wusste.
    Aber das Schlimmste war Kuglers Gesicht gewesen, das
Gesicht des Mörders, den sie freilassen würden. Das feiste und hinterhältige
Grinsen, das er ihr gezeigt hatte, als sie geschlagen aus dem Zeugenstand
gewankt und klar war, dass sie verloren hatten, sie und Lortzig.
    Und die Erinnerung an dieses Gesicht war es auch, die
sie veranlasst hatte, ihren Schwur zu brechen.
    Sie erreichten Burgrain und bogen am Ende in die
Feldernkopfstraße. Bald endete der Teerbelag. Es wurde steiler, und der kleine
Motor ihres Wagens kämpfte, um dem kraftvollen Diesel Schwemmers zu folgen. Sie
fuhr durch die dichte, grauweiße Staubfahne, die Schwemmers Auto hinter sich
herzog. Nach ein paar Minuten erreichten sie den Holzplatz. Sie hielten am Rand
an und stiegen aus.
    Johanna war sich anfangs nicht ganz sicher gewesen, ob
es der richtige Ort war. Die Holzstapel waren dort, auch die Mulde auf der
anderen Seite des Wegs, doch die Bäume schienen nicht ganz zu passen. Aber als
sie die blutigen Haare gefunden hatte, waren ihre Zweifel verschwunden. Hier
musste es passiert sein.
    Schwemmer sah sie schweigend und auffordernd an. Er
trug eine kleine Mappe in der Hand. Sie ging zielsicher zur Mitte des Platzes,
und er folgte ihr.
    Sie hatte einige Steine zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher