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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch
Autoren: Martin Schueller
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Staatsanwaltschaft
meinte, wir hätten genug Indizien. Er hat Anklage erhoben. Und dann hat das
Landgericht in München uns das Ganze derart um die Ohren gehauen, dass
wir wie die letzten Deppen dastanden. Freispruch mit Pauken und Trompeten. Wir
haben uns verhoben. Dabei …« Schafmann brach ab. Mit finsterer Miene sah er zum
Fenster hinaus.
    »Dabei was?«, fragte Schwemmer, obwohl er an
Schafmanns Gesicht ablesen konnte, was der Kollege dachte.
    »Dabei bin ich mir sicher, dass er es wirklich war,
der Kugler. Einen anderen haben wir jedenfalls nicht ermittelt. Der Fall ist
ungeklärt.«
    »Wer ist denn dieser Kugler?«
    »Bauunternehmer, ziemlich reich. Nicht irgendwer.
Lortzig bekam es jedenfalls am Herzen.«
    Schwemmer verstand. Er wusste, welche Meinung
Schafmann und die Kollegen von Lortzig hatten. Er war der immer noch
unerreichte Held. Natürlich respektierten sie Schwemmer, aber die Stufe des
Respekts, mit dem die alten Hasen von EKHK Lortzig redeten, hatte er noch lange nicht erreicht. Die acht Jahre, die er
jetzt Chef war, standen aber auch in keinem echten Verhältnis zu den
dreiundzwanzig, die Lortzig hinter sich gebracht hatte.
    Gut Ding will eben Weile haben. Vielleicht würde er ja
auch mal als Legende in Rente gehen, dachte Schwemmer und vernahm gleichzeitig
im Hinterkopf das herzliche Lachen seiner Frau.
    Wie auch immer: Jetzt stand Johanna Kindel wieder in
der Tür. Die Frau, die nach Schafmanns Meinung Lortzig das Genick gebrochen
hatte.
    »Immerhin«, sagte Schwemmer, »haben wir keinen
ungeklärten Todesfall.«
    »Ja, ja«, brummte Schafmann.
    »Vielleicht weiß sie ja was über deine Satanisten.« Es
war als Scherz gemeint, fiel bei Schafmann aber ins Leere.
    »Seit damals hat sie sich geweigert, irgendwas
vorauszusagen«, sagte er ernsthaft. »Nicht mal das Geschlecht von Kindern,
dabei war sie darin ziemlich gut. Lag jedenfalls besser als dieser Scharlatan,
dieser Kurtzbecker.«
    Diesen Namen kannte Schwemmer. Gegen Kurtzbecker hatte
es Anzeigen wegen Betrugs gegeben, von denen eine sogar einen Strafbefehl zur
Folge gehabt hatte. Er versprach eine Geschlechtsvorhersage anhand von
Handschriftenproben der Mutter, bei fehlerhafter Voraussage gab es das Geld
zurück. Das Konzept war genial: Kurtzbecker versprach immer Mädchen und hatte
so eine Trefferquote von fünfzig Prozent – ohne Risiko. Solange er Leute fand,
die das mitmachten, war es eine todsichere Sache.
    Schwemmer hatte es fast widerstrebt, die Anzeige zu
verfolgen. Er fand das Angebot gar nicht betrügerisch. Für ihn war es eine
offene Verarschung.
    Am Ende hatte dann weniger der Strafbefehl als das
Umsichgreifen von Ultraschalluntersuchungen der Sache ein Ende bereitet.
Kurtzbecker hatte mittlerweile auf die Vorhersage von Gewinnzahlen umgestellt.
Bisher waren keine Klagen bekannt geworden. Aber es gab Gerüchte, er
praktiziere neuerdings auch Geistheilung.
    »Und was machen wir nun mit Frau Kindel?«, fragte
Schwemmer. »Ich kann sie ja schlecht wegschicken.«
    »Hör dir halt an, was sie will.« Schafmann zuckte die
Achseln. »Aber ich bleib hier.«
    »Na klar«, antwortete Schwemmer und griff zum Telefon,
um die Dame von Frau Fuchs hereinbitten zu lassen.
    Frau Fuchs hielt ihr mit fast unterwürfiger Haltung
die Tür auf, aber als Frau Kindel das Büro betrat, war Schwemmer fast ein
bisschen enttäuscht. Die »Seherin« war das Musterbild einer einfachen Frau. Sie
grüßte höflich, aber nicht unterwürfig, war schlicht, aber nicht schlecht
gekleidet, trug einen Stoffbeutel in der Hand und wirkte in keiner Weise
auffällig. Fast kam es Schwemmer vor, als kenne er sie, aber er konnte sich genauso
an irgendjemand anderen erinnern, wie er sich klarmachte. Er schätzte sie auf
Ende sechzig, und sie schien wach und kräftig.
    Schwemmer stellte sich und Schafmann vor. »Nehmen Sie
Platz, Frau Kindel«, sagte er.
    Sie setzte sich auf den freien Besucherstuhl und
stellte den Beutel auf dem Boden ab.
    »Den Herrn Schafmann kenn i no von damois«, sagte sie
und nickte ihm zu.
    Schwemmer spürte die Spannung zwischen den beiden. Für
einen Moment überlegte er, Schafmann doch zu bitten, sie allein zu lassen,
verzichtete dann aber darauf.
    »I woaß ned, wie i ofanga soll«, sagte Frau Kindel
zögernd. Sie hob ihren Stoffbeutel wieder vom Boden und zog eine braune,
unbeschriftete Flasche hervor.
    »Zunächst amoi«, sagte sie. »Des is für Eana Frau
Gattin. Franzbranntwein mit Arnika, zum Einreibn.«
    Schwemmer sah sie fragend
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