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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch
Autoren: Martin Schueller
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an.
    »Des tuat guat bei am Hexnschuss«, sagte Frau Kindel.
    »Ääh …«, sagte Schwemmer, und Schafmann sah verblüfft
zwischen Schwemmer und Frau Kindel hin und her.
    »Sie hat doch an Hexnschuss, oder? Seit drei Tag?«
    Schwemmer nickte stumm.
    »So hat’s mir die Hoibl Vreni verzählt, gestern«,
sagte Frau Kindel.
    Schwemmer räusperte sich, und Schafmann sah zur Decke.
    »Sie kennen die Frau Hoibl?«, fragte Schwemmer
höflich.
    »Sie kommt alle paar Monat vorbei, wegn da Kinder.
Gestern war’s da und hat von eaner Freindin verzählt, der Schwemmer Burgl, der
maladn, und da hab i dacht, wann i herkomm …«
    Frau Kindel verstummte, sie sah zu Schafmann, der sie
aufmerksam, aber distanziert beobachtete.
    »Könnt ma vielleicht unter vier Augn redn?«, fragte
sie Schwemmer.
    Schwemmer wollte ablehnen, aber Schafmann stand auf,
bevor er antworten konnte, und ging grußlos hinaus. Von der Tür her warf er
Schwemmer noch einen warnenden Blick zu, als lasse er ihn nun mit einem
gewalttätigen Verbrecher allein.
    Als er gegangen war, hob Schwemmer auffordernd eine
Hand.
    »Sie kennen de oiden Gschichtn?«, fragte Johanna
Kindel.
    »Nicht genau«, antwortete Schwemmer und vermisste
Schafmann schon, bevor er wusste, was die Frau überhaupt von ihm wollte.
    »Diesmal is genauso«, sagte Frau Kindel, so leise,
dass Schwemmer sie kaum verstand.
    »Fast genauso«, korrigierte sie sich.
    »Und was ist der Unterschied?«, fragte Schwemmer.
    »Damals hab i des ois erst vui später zum Sehn kriagt.
Wochen später.«
    » Was haben Sie denn damals gesehen?«, fragte
Schwemmer.
    Frau Kindel sah zur Seite, während sie antwortete. »I
hab gsehn, wie der Kugler Alois den Buam abgstochen hat, als wär’s a Sau. I hab
sein Gsicht gsehn dabei. Jede Bewegung, jedn Stich hab i gsehn. Und am End, da
hat er a noch gschossn. In den Kopf. Aber freilich glaubns oam des ned, bei
Gericht.«
    »Wenn Sie so etwas sehen, wie muss ich mir das
vorstellen? Wie geht das vor sich?«, fragte Schwemmer mit gerunzelter Stirn.
    »Des möcht i ned sagn. Ned noch amoi. I kann Dinge
sehn, manchmal. Und i kanns mir ned aussuchn.«
    Sie sah ihn an, offen, nicht verbittert. Sie beklagte
nicht, dass ihr nicht geglaubt wurde. Sie wusste es einfach und akzeptierte es.
    »Und diesmal?«, fragte Schwemmer. »Was ist dieses Mal
anders?«
    »Diesmal is wohl grad erst gschehn. Letzte Nacht. Oder
die davor.«
    Die senkrechten Falten in Schwemmers Stirn blieben
mittlerweile stabil. »Können Sie denn auch Zeiträume sehen?«
    »Na. Aber i kenn den Buam, dens derschossen habn. Vor
zwoa Tag hat er noch glebt.«
    »Ein Bub wurde erschossen? Und wer ist der Junge?«
    Zum ersten Mal wirkte sie nun doch verlegen. »Des woaß
i ned gnau.«
    »Aber Sie kennen ihn doch, sagten Sie eben.«
    »A Freind von meim Buam is der. De machen zsamma Musi
… Also was die Buam so Musi nenna, heitzdag. Sicha woaß i nur, dass seine
Freind eam Spacko heißn. I glaub, er heißt Oliver Speck, aber sicher bin i
ned.«
    »Oliver Speck? Spacko?«, versicherte sich Schwemmer.
Er griff gewohnheitsmäßig nach seinem Block, um den Namen zu notieren, ließ es
dann aber bleiben. »Also Sie haben – wie auch immer – gesehen, dass Spacko
erschossen wird. Und von wem?«
    »I kenn den Mann ned. Aber wiedererkennen tat i eam
scho.«
    »Aber Sie wissen nicht genau, wann es passiert ist,
und nicht, wo.«
    »Na. Wo, woaß i.«
    »Aha …« Schwemmer sah sie fragend an.
    »An Holzplatz auf halber Höh an da Straßn am
Grubnkopf. I bin heit Morgn naufgfahrn. I war do. Und des hab i gfundn.«
    Schwemmer sah ihr misstrauisch zu, wie sie einen
Gefrierbeutel aus der Stofftasche holte und vor ihn auf den Tisch legte. Er
nahm den Beutel und besah sich den Inhalt.
    Es war ein langes, rötliches Haar. An einem Ende war
es brüchig versteift.
    Wie von getrocknetem Blut.
    »Des is dem Buam sei Farb. Da san noch mehra davon.«
    »So.«
    Schwemmer spitzte die Lippen. Die Sache begann,
einiges an Peinlichkeitspotenzial zu entwickeln. Er konnte nicht auf ein
einzelnes Haar hin eine offizielle Ermittlung starten, auch wenn es
möglicherweise blutverschmiert war. Insbesondere dann nicht, wenn es von einer
notorischen – und notorisch unzuverlässigen – Hellseherin angebracht wurde.
    Andererseits waren ihre Angaben präzise genug. Wenn er
nichts unternahm und die Frau hatte recht – aus welchem Grund auch immer –,
dann war er erst recht blamiert.
    »Das Beste ist, wenn Sie zunächst mal herausfinden,
wer dieser
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