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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch
Autoren: Martin Schueller
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Hund den
Philosophen. Auch Gerhards Angst, dass er auf die Straße hinausstürmen könnte,
hatte sich als unbegründet erwiesen: Er mied sie wie der Vampir das Licht oder
den Knoblauch. Wilhelmine hatte ihm erzählt, dass er in Rumänien mal angefahren
worden war, das hatte er sich wohl gemerkt. Wilhelmine, erst gestern hatte er
mit ihr telefoniert. Wilhelmine, seine schöne Bekannte aus Bras¸ov. Sein Magen
machte ein kleines Hüpferchen, ein anderes Teil auch … Das kam ihm alles vor,
als wäre es Ewigkeiten her, dabei war es letzten Winter gewesen. Natürlich
wollte er Wilhelmine besuchen, und natürlich hatte er sie eingeladen. Aber sie
konnte sich das Ticket nicht leisten, und von ihm hätte sie nie ein Geschenk
angenommen. Er hatte ihr sogar angeboten, dann eben kein Flugticket zu kaufen,
sondern eins für den abenteuerlichen Bus, der von Rumänien nach Fröttmaning
fuhr. Ein kalter, zugiger Busbahnhof in Münchens Norden, der nicht mal eine
vernünftige Wartehalle oder etwas Gastronomisches dabeihatte. Und da stand man
dann allein im Wind, und auf einmal kamen Autos von Abholern, und auf einmal kam
auch der Bus relativ pünktlich, wo er doch fünfundzwanzig Stunden unterwegs
gewesen war. Gerhard hatte mal einen Kumpel abgeholt – über Fröttmaning lag
etwas Frustrierendes, da half die Allianz Arena nebenan auch nichts. Na ja, und
Fußballergebnisse hatten ja auch oft was Frustrierendes.
    Inzwischen durchfuhr er die gesperrte Straße Am Hahnenbühel. Nebel
stieg aus den Wiesen, Herbstboten vor der Zeit und Ergebnis der
Gewitterschauer, die an den Abenden aufkamen. Am Flugplatz stand wie immer das
Wasser auf der Straße, an der Moosmühle glotzten ihn ein paar Kühe an, und in
Fendt standen wie immer die Kaltblüter auf der Weide. Bei jedem Wetter, ohne
Unterstand, Gerhard fragte sich jedes Mal, ob die bei Platzregen oder sengender
Sonne nicht lieber in einem Stall wären.
    Auch in Peißenberg war es noch still; ein, zwei Autos kamen ihm
entgegen. Es schlug genau Viertel vor sieben, als Gerhard in Peiting vor der
Raiffeisenbank parkte. Da war allerdings einiges los: ein Polizeiwagen, erste
Glotzer, zwei Burschen in Trachtenornat und mit starrem Blick. Als er an ihnen
vorbeiging, roch er den Alkohol, der sie streng umwehte. So als wolle der Dunst
sie nicht loslassen. Und da war Baier.
    »Gut schauen Sie aus, Baier«, sagte Gerhard.
    »Sie nicht«, antwortete Baier und machte lediglich eine Kopfbewegung
in Richtung Tür.
    Gerhard grüßte die beiden Schongauer Kollegen, die am Fuße der
Treppe standen, ging hinauf, Baier hinter ihm. Er betrat den Raum und sah sich
um. Rechts ein knallroter Postkasten von allgäu mail, was immer das war. Er
kannte nur die gute alte gelbe Post, die sich nach und nach aus den Städten
geschlichen hatte und nun gerne in Getränkemärkten unterkroch. Es gab ein paar
Aufsteller, einige Poster an den Wänden. Gerhard registrierte, dass die Tür
unentwegt auf- und zuging. Er trat weiter in den Raum, vor ihm schirmte ein
halbhoher Paravent den Geldautomaten ab. Zumindest nahm Gerhard an, dass sich
der Automat da verbarg und damit die Milliardentransaktionen verdeckte, die der
Peitinger so durchführte. Baier machte wieder eine Kopfbewegung, Gerhard
umrundete die Holzbalustrade. Zwischen Geldautomat und Holzwand hing ein Mann.
Vor ihm stand ein leerer Bierkasten. Eine Flasche schien seiner Hand entglitten
zu sein und schwamm in einer Pfütze. Man hätte meinen können, der Typ wäre im
Alkoholdelirium, was angesichts der Biermenge ja nicht unwahrscheinlich war.
Wäre da nicht an seiner Kehle eine ungute Färbung gewesen. Ein
blutunterlaufener Ring umgab seinen Hals.
    Gerhard beugte sich hinunter. Der Typ roch ebenfalls sehr ungut,
nach Alkohol und angetrockneter Kotze, die sein Hemd und die selbst gestickten
Hosenträger befleckte. Er war erwürgt worden, keine Frage. Die Male ließen auf
dünnen Draht schließen oder etwas Ähnliches. So wie er da in sich hineingesackt
war, schien er auch wenig Gegenwehr geleistet zu haben. Kein Wunder bei dem
ganzen Alk!
    »An Derwürgten hatten wir schon länger nicht mehr«, brummte Baier.
»Den letzten, kurz nachdem Sie hier aufgeschlagen sind, Weinzirl. Der Schnitzer
am Döttenbichl.«
    Der Schnitzer, ja. Der Viergesang, alle viere tot. Ein atonales Ende
für die einst so harmonischen Sänger. Das war Gerhards erste Begegnung mit dem
Oberland und seinen neuen Kollegen gewesen. Sein erster Fall, und in der
Rückschau war das sein liebster gewesen.
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