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Der Rote Tod

Der Rote Tod

Titel: Der Rote Tod
Autoren: Jason Dark
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»Das ist doch Unsinn, Kind.«
    »Aber die Leute sagen es.«
    »Die Leute...«
    »Ja, genau die.«
    »Glaubst du ihnen alles, was sie sagen, Hanna?«
    »Nicht alles.«
    »Eben, deshalb...«
    Hanna ließ ihre Mutter nicht ausreden. »Es war ja nicht nur einer, der so etwas gesagt hat. Die wissen es schon. Und in der Stadt ist auch etwas passiert. Sogar die Leute von der Zeitung und dem Fernsehen habe ich hier herumlaufen gesehen. Wenn nichts passiert wäre, dann wären sie auch nicht gekommen.«
    Gertrud Kohler wartete, bis Hanna nichts mehr sagte und sie nur anschaute, weil sie eine Antwort oder Erklärung erwartete. Natürlich hatte das Kind Recht. In der Stadt war etwas passiert. Man hatte zwei Leichen gefunden, um die ein großes Geheimnis gemacht worden war, doch mit dem Roten Tod hatte das nichts zu tun.
    »Jetzt weißt du nicht, was du sagen willst, Mutti.«
    »Doch, das weiß ich, Kind. Der Rote Tod ist ein Märchen. Es ist eine Legende. Vergiss nicht, dass wir uns hier in Göttingen befinden. Das ist nicht nur eine Stadt der Wissenschaft und der Nobelpreisträger, sondern auch eine der Märchen. Im vorletzten Jahrhundert sind die Gebrüder Grimm hier gewesen und haben die Geschichten gesammelt. Denk darüber nach, denn das ist wichtig. Ein Märchen ist ein Märchen und keine Tatsache.«
    »Manchmal werden sie wahr.«
    »Niemals, Hanna.«
    »Ich sehe das nicht so, Mutti. Ich weiß das.«
    »Und wenn schon, Kind. Der Rote Tod wird dich bestimmt nicht besuchen.«
    »Ich habe trotzdem Angst.«
    »Wirklich?«
    Gertrud Kohler schaute in Hannas Gesicht. Es zeigte noch einen kindlichen Ausdruck, doch der war nicht überall vorhanden. Wer genauer hinsah, der stellte fest, dass das Mädchen auf der Grenze zwischen dem Kindes- und dem Teenageralter stand. Ein fein geschnittenes Gesicht, Sommersprossen und herrlich blaue Augen.
    Jetzt lächelte das Mädchen. Um die Mundwinkel herum zeigten sich kleine Grübchen. »Naja, nicht so ganz. Mit der Angst ist das ja wie mit den Gedanken. Man kann sich vieles einbilden und selber machen. Habe ich mal gehört.«
    »Genau, mein Kind.«
    »Aber dass zwei Menschen tot sind, stimmt.«
    »Richtig, Hanna. Mehr weiß ich auch nicht. Ich habe mit keinem Polizisten gesprochen. Ich weiß nicht, wie die Leute genau umgebracht worden sind. Ich kenne mich nicht aus, und deshalb mache ich mir auch keine Gedanken darüber.«
    »Die Bullen haben gemauert!«
    Gertrud Kohler erschrak, als sie diesen Satz hörte. Eine derartige Diktion war sie von ihrer Tochter nicht gewohnt. »He, wie kannst du so was nur sagen?«
    »Habe ich gehört. Hat jemand gesagt. Die haben gemauert und lassen nichts nach außen dringen. Das weiß ich. Und wenn das passiert, ist wirklich was im Busch.«
    Gertrud Kohler nickte ihrer Tochter zu. »Toll, Hanna, wirklich. Ich denke, du solltest dich bei der Polizei als Beraterin bewerben. Die werden dich bestimmt vormerken.«
    »Das kann sein.«
    Die Frau lächelte und drehte ihren Kopf zur Seite. Ihr Blick erfasste ein Regal, in dem zahlreiche Bücher hochkant standen oder quer lagen. Es war Hannas Reich. Sie gehörte zu den Kindern, die lieber lasen, als vor dem Bildschirm zu sitzen. Besonders spannende Geschichten hatte es ihr angetan. Ob es nun um finstere Gruselstoffe ging oder ob sie mit ihren Helden in ferne Galaxien reiste, sie war davon gleichermaßen fasziniert. Aber auch Bücher mit sozialkritischen Inhalten, die sich mit dem Problem der Ausländerkinder in Deutschland auseinander setzten, fanden sich dort wieder. Das Mädchen hatte diese Bücher ebenfalls gelesen und viel über Toleranz gelernt.
    Polizistin hatte sie werden wollen. Oder auch Geheimagentin. Damit wäre ein noch größerer Traum erfüllt worden.
    »Aber jetzt bleibt dir keine Zeit mehr. Ich denke, dass du dich hinlegen solltest. Morgen geht es wieder in die Schule.«
    »Die schaffe ich mit links.«
    »Das weiß ich. Aber nicht, wenn man nicht oder nur sehr wenig geschlafen hat. Da solltest du schon gewisse Vorbereitungen treffen. Wir sind noch knapp vier Wochen hier in der Stadt, dann beginnt für deinen Vater die Sommerpause.«
    »Da brauche ich nicht in die Schule. Es sind Ferien.«
    »Richtig. Du wolltest dann deinen Stoff auffrischen.«
    »Und wo sind wir im September?«
    Gertrud Kohler hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Dein Vater hat noch keinen neuen Vertrag unterschrieben. Er ist das Tingeln eigentlich leid und überlegt, ob er nicht ein festes Engagement annehmen soll. Das wäre auch
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