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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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Musik aller Zeitalter, denn sie vertrauten darauf, dass Eure Mission Erfolg haben würde und die Kindliche Kaiserin einen Rat wüsste.« Tahâma unterdrückte einen Seufzer. Rothâo sah sie traurig an.
    »Nach einer Woche kam der Hippogreif zurück. Wir warteten voller Zuversicht, aber als Ihr dann ausbliebt, wuchs die Ungeduld. Der rote Mond nahm ab, der silberne Arawin wurde rund und verblasste wieder, doch von Euch fehlte jede Spur. Als Rubus wieder voller wurde, begannen die Tashan Gonar zu verzagen. Sie wollten nicht mehr spielen und singen, und Schwermut senkte sich auf uns herab. An dem Tag, als Rubus wieder voll und rund am Himmel stand, kamen zwei Fremde ins Dorf, ein Mann und eine Frau aus dem Land Nazagur.«
    Rothâo zuckte zusammen und stöhnte auf.
    »Vater, kann ich irgendetwas tun, um Eure Schmerzen zu lindern?«, fragte Tahâma erschrocken.
    Er hob zitternd eine Hand und strich ihr über den üppigen blauen Haarschopf. »Fahre fort, mein Kind«, krächzte er.
    Sie warf ihm noch einen beunruhigten Blick zu, dann sprach sie weiter. »Thurugea lud die Fremden ein, bei ihr zu wohnen. Am Abend, als alle im runden Haus beim Klang der Windharfen beisammensaßen, um mit den Gästen zu speisen, erhob sich der Vater des Rhythmus, um eine wichtige Entscheidung zu verkünden.«
    Tahâma machte eine Pause und beobachtete voll Sorge, wie es um den Mund des Vaters schmerzlich zuckte. Sie stand auf, um im Kamin ein paar Scheite nachzulegen, und flößte ihm dann noch einige Schlucke Kräuterwein vermischt mit Kristallwasser ein.
    »Sprich weiter!«, sagte er und umklammerte ihre Hand, als wolle er sie zerbrechen.
    »Granho erklärte, die Gäste hätten ihm und Thurugea von ihrer Heimat berichtet. Nazagur sei ein großes, blühendes Land mit saftigen Wiesen und unendlichen Wäldern, mit Flüssen und Bächen und sanften Hügeln. Es gebe dort Felder mit Korn und Weiher voll von Fischen, und in den Wäldern tummle sich das Wild.«
    Rothâo stieß einen dumpfen Laut aus, doch Tahâma sprach weiter.
    »All das ist gut, sagte Granho, doch das unbegreifliche Wunder ist, Nazagur wird nicht vom Nichts bedroht! Nirgendwo gibt es Löcher oder Gräben, die sich weiten und heimlich vorwärts fressen. Nein, Nazagur wächst sogar! Es dehnt sich aus und bietet Platz für neue Völker, die sich in diesem lieblichen Land niederlassen wollen.«
    »Nein!«, schrie Rothâo plötzlich. Er bäumte sich auf, sein Blick huschte wie irr im Zimmer umher. »Das darf nicht sein! Bitte sag, dass es nicht wahr ist!«
    Tahâma drückte ihn sanft auf das Lager zurück. »Alle waren damit einverstanden, in das verheißungsvolle Land zu ziehen, denn sie fürchteten, Ihr wärt auf Eurer Mission verunglückt und würdet nie zurückkehren. Bereits am nächsten Tag packten alle Tashan Gonar ihre Bündel, beluden die Karren mit Instrumenten und der gesammelten Musik und machten sich auf den Weg nach Nazagur. Ich blieb zurück, um auf Euch zu warten.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich konnte einfach nicht glauben, dass Ihr nicht wiederkommen würdet, dass Eure Mission scheitern könnte.« Sie tupfte ihm den kalten Schweiß von der Stirn. »Und wenn Ihr wieder gesund seid, dann werden wir gemeinsam den anderen folgen!«, fügte sie trotzig hinzu.
    Der Vater stöhnte und schlug wild um sich. »Nein!«, schrie er. »Nein, du darfst nicht nach Nazagur gehen!«
    Tahâma versuchte ihn zu beruhigen. »Es ist das Fieber und das Gift, das in Euren Adern kreist. Ihr müsst Euch keine Sorgen machen, unser Volk ist in Sicherheit. In Nazagur kann das Nichts ihnen nichts anhaben. Sie werden ein neues Dorf aufbauen, Melodien und Lieder pflegen und auf uns warten.«
    Wieder schüttelte Rothâo wild den Kopf. »Nicht in Sicherheit«, stöhnte er, »in tödliche Gefahr reisen sie. Versprich mir, dass du keinen Schritt in dieses Land setzen wirst!«
    »Aber Vater, welche Gefahren sollten dort auf uns warten? Wie kommt Ihr auf diesen Einfall?«
    »Ich war dort«, keuchte er, und seine Augen verdunkelten sich, »der Schrecken, der dunkle Lord ...« Seine Stimme versagte. Krampfhaft hob und senkte sich seine Brust.
    »Ein schrecklicher Lord? Der Herrscher des Landes? Was habt Ihr dort erlebt, das Euch so entsetzt?«, fragte Tahâma erstaunt. In ihrer Vorstellung war Nazagur eine liebliche Landschaft. Wie konnten dort Angst und Schrecken herrschen?
    »Ich habe ihn gesehen, ihn und seine Kreaturen.« Er schnappte nach Luft, sein Gesicht verfärbte sich bläulich.
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