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Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde

Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde

Titel: Dem Gluecklichen Schlaegt Keine Stunde
Autoren: Anselm Gruen
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Vorwort
„Dem Glücklichen schlägt keine Stunde“, so verheißt es das Sprichwort. Sprichwörter sind Ausdruck von Erfahrung und Lebensweisheit. Und auch dieses zeigt eine verlässliche Spur, wenn wir danach fragen, wo und wie Glück zu erleben ist.
So viel ist sicher: Wer sein Glück packen und festhalten will, dem schlüpft es aus der Hand. Wer ihm hinterherhetzt, der wird es nie erreichen. Es ist immer schon da und wartet darauf, dass wir es wahrnehmen. Erleben kann es aber nur, wer ganz im Augenblick ist. Denn nur der Moment, dieser eine Augenblick, lässt mich das Glück berühren. Glück lässt sich auch nicht kaufen. Es ist nicht durch noch so ausgefeilte Techniken zu erwerben. Tricks helfen da nicht. Glück meint einfach: ganz im Einklang mit sich sein. Und diese innere Harmonie beginnt damit, dass wir im Einklang sind mit dem Augenblick. Das klingt einfacher, als es ist.Aber nur wenn ich frei bin von den Ansprüchen meines Ego kann es gelingen. Das Ego will immer festhalten. Es will etwas haben. Glück ist aber nicht zu „haben“. Glücklich ist nicht wer viel hat, sondern wer einfach, ganz im Augenblick ist. So hat es der Hans im Glück des Märchens erfahren. Als ihm auch noch seine letzte Habseligkeit, der Wetzstein, in den Brunnen fällt, ruft er: „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Er hat jetzt nichts mehr. Aber er tanzt und springt voller Freude: Er ist einfach.
 
„Dem Glücklichen schlägt keine Stunde“, das sagt noch etwas: Glückserfahrung ist nicht planbar. Manche meinen: Sobald ich die Prüfung geschafft habe, werde ich der glücklichste Mensch auf Erden sein. Doch dann ist die Prüfung vorbei und statt Glück empfindet man Leere: die Traurigkeit des Erfolgs. Diese eine Stunde, auf die ich solange hingelebt habe und von der ich alles Glück der Welt erwartet habe,enttäuscht mich, wenn sie da ist. Die verminderte Spannung zieht auch die Stimmung nach unten. Das Glück begegnet mir, wann und wo es will. An mir liegt es, bereit zu sein: Für die Freude, die mir aus einem lachenden Gesicht entgegenstrahlt. Für das Glück, das der frische Frühlingsmorgen mir vor Augen hält. Für die Verzauberung durch die Begegnung mit einem lieben Menschen. Die glücklichen Augenblicke können mich jeden Moment erwarten. Ich muss sie nur wahrnehmen.
 
Wer Glück empfindet, möchte es festhalten. „Alle Lust will Ewigkeit“, sagt Friedrich Nietzsche. „Verweile doch! Du bist so schön“, für einen solchen Moment will Goethes Faust seine Seele sogar dem Teufel verkaufen. Das Glück will zwar Ewigkeit. Aber es lässt sich immer nur in diesem Augenblick wahrnehmen. Wer sein Ego loslässt und sich dem inneren Zustand des Glücks überlässt, für den steht die Zeit still. Und dann erfährt er dasGlück nicht nur als kurzes Erhaschen eines schönen Augenblicks. Dann empfindet er, dass die Zeit stillsteht. In einer solchen Erfahrung scheint das Glück ewig zu währen. Meister Eckehart spricht von der Fülle der Zeit, wenn die Zeit stillsteht, wenn Christus selbst in die Zeit kommt. Glück ist immer erfüllte Zeit. In diesem Augenblick fallen Zeit und Ewigkeit zusammen. Ewigkeit erahne ich, wenn ich einfach nur im Schauen, im Spüren, im Wahrnehmen, in der Begegnung bin. Sobald ich nachrechnen oder kontrollieren will, falle ich schon aus der Zeit, die Ewigkeit ist, heraus. Und ich erlebe die Zeit, die mich auffrisst, die Zeit, die mir davonläuft. Die Zeit steht nur still, wenn ich selbst still geworden bin, wenn ich stehen bleibe und einfach nur im Stehen bin, im Wahrnehmen dessen, was ist.
 
Es gibt noch andere Sprichwörter, die den Augenblick mit dem Glück verbinden. So heißt es: „Augenblick bringt das Glück.“ Das WortAugenblick meint ursprünglich den schnellen Blick der Augen, also eine kurze Zeitspanne, Zeit, die man nicht festhalten kann. Die Lateiner sprechen vom „ictus oculi“, vom Augenschlag. Sie denken dabei an die Bewegung der Wimpern. Die deutsche Sprache bezieht sich jedoch auf das Schauen. Aber es ist kein Schauen, bei dem ich verweilen kann, sondern ein kurzer Blick, der schnell vorbei ist. Ich habe gerade hingeschaut und schon ist das, was ich geschaut habe, vorübergegangen. Ich kann es nicht mehr sehen. Ich schaue nur auf das, was mich fasziniert, was meinen Blick auf sich zieht, auf etwas Interessantes und Anziehendes.
Wenn uns etwas abstößt, dann schauen wir lieber nicht hin. Doch festhalten können wir den bewegendsten Augenblick nicht.
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