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Die schwimmende Stadt

Die schwimmende Stadt

Titel: Die schwimmende Stadt
Autoren: Hubert Haensel
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Honga. Nur wünscht Galee ebenfalls deine Anwesenheit. Sie glaubt, daß kein Mann so kämpfen kann wie du, und sie fordert dich auf, ihr Gast zu sein.«
    »Um mich endlich zu töten?«
    »Nein.« Scida schüttelte den Kopf. »Sie wird keine Gesandte einer Zaubermutter hintergehen.«
    »… aber in mir einen lästigen Mitwisser beseitigen wollen. Ich habe herausgefunden, was auf Gondaha vorgeht.«
    Scida zuckte zusammen. »Sprich«, fuhr sie ihn heftig an. »Hast du meine Kriegerinnen gesehen? Was ist aus ihnen geworden?«
    »Ich weiß es nicht«, erklärte Mythor. »Im Innern der Schwimmenden Stadt existiert ein ausgedehntes Höhlenlabyrinth. Dort unten gibt es vielleicht Hunderte riesenhafter Gebilde, die wie lederhäutige Eier wirken. In ihnen reift unheimliches Leben heran.«
    Scida zeigte ein Lächeln.
    »Du hast die Nissen gefunden«, meinte sie. »Wenn das Gondahas ganzes Geheimnis sein soll. Über sie weiß ich längst Bescheid – auch, daß von ihnen keine Gefahr droht.«
    Sie begann zu lachen, aber ihr Gelächter gefror, als Mythor fortfuhr:
    »Harmlos? Mit langen Widerhaken versehene Gliedmaßen, die einen Menschen ernsthaft verwunden können. Durch die Lederhaut hindurch griffen sie nach mir, und ich mußte eines dieser Wesen töten, um ihm zu entkommen.«
    Scida wurde blaß. Aus schreckensgeweiteten Pupillen starrte sie blicklos an Mythor vorbei.
    »Das«, stammelte sie tonlos, »das wußte ich nicht. Die Nissen tragen Entersegler in sich…«
    »Dämonisches Leben?«
    Scida ließ die Schultern hängen. In diesem Moment schien jede Kraft sie zu verlassen und Hoffnungslosigkeit von ihr Besitz zu ergreifen.
    »Hast du nie von der Großen Plage gehört, Honga, die manche Seherinnen prophezeien? – Nein?
    Nun, Jewa besaß eine starke Verbindung zu Fronja, der Tochter des Kometen, und bekam gelegentlich einen Traum von ihr. In einer solchen Botschaft sah sie die Große Plage über Vanga kommen.«
    Mythor war wie vom Donner gerührt. Eine Erregung, wie er sie nur selten verspürt hatte, griff nach ihm.
    Fronja schickte Träume?
    Auch ihm? – Vielleicht sogar damals, im Hochmoor von Dhuannin, als er sie in einem Schiff zwischen Eisbergen treiben sah.
    Aber was für ein Schiff war das gewesen? Sein Rumpf hatte keinen Kiel besessen, weder Bug noch Heck, und das Segel war rund erschienen und vom Wind prall gebauscht, obwohl kein Lüftchen sich regte.
    Rund…
    Welch ein Narr er doch war. So nahe lag die Lösung seit etlichen Monden schon, aber er erkannte sie nicht.
    Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen: Fronja, die Frau, der sein Sehnen galt, hatte sich ihm an Bord eines Luftschiffs gezeigt.
    Und träumte er nicht öfter von ihr? Meldete sie sich auf diese Weise bei ihm?
    »Worüber denkst du nach?« wollte Scida wissen.
    »Es ist nichts«, wehrte Mythor schnell ab.
    Er wagte nicht, die Amazone über das zwischen ihrer Hexe und Fronja bestandene Verhältnis auszufragen. Immerhin hätte er dann selbst Erklärungen abgeben müssen und sich dadurch verraten. Denn noch war er für Scida und alle anderen Honga, der zu seinem zweiten Leben wiedergeborene tauische Held. Und hatte Vina ihm nicht geraten, niemandem außer der Hexe Ambe zu vertrauen? Diese galt es, zu finden.
    »Wir brechen sofort auf«, bestimmte Scida. »Ich will Galee nicht zu lange warten lassen.«
    Mythor nickte zögernd. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit der Amazone zu gehen. Die Existenz der Besessenen aber verschwieg er, denn wenn sie von den Nissen wußte, mußten ihr auch die ausgezehrten Weiber bekannt sein. Daß sie kein Wort darüber verlor, war Grund genug, ihr wenigstens fürs erste zu mißtrauen.
*
    Galees Palast lag unmittelbar am Bug der Schwimmenden Stadt. Von hier aus bot sich ein herrlicher Blick über die unermeßliche Weite des Ozeans. Doch im Augenblick war der Himmel trüb und wolkenverhangen, und der Horizont versank im Dunst des schon im Nachmittag stehenden Tages.
    Das Gebäude war größer als alles, was Mythor bislang auf Gondaha gesehen hatte. Von außen wirkte es wie eine Festung, und in seinem Innern mochte der Eindruck nicht anders sein. Zum Teil waren die Wände aus Steinen gemauert worden. Erst ab einer Höhe von gut eineinhalb Körperlängen erhoben sich hölzerne Palisaden und wehrhafte Zinnen.
    Pflanzen gab es im Umkreis von mindestens dreißig Schritten nicht – nur nacktes, stellenweise weiches Schwammgewebe, dessen Wucherungen immer wieder abgetragen wurden, bevor sie nach dem Palast greifen konnten.
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