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Die schwimmende Stadt

Die schwimmende Stadt

Titel: Die schwimmende Stadt
Autoren: Hubert Haensel
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Linken hinter sich. Seine Finger verkrallten sich in ein Büschel verfilzter, strähniger Haare.
    Ein gereiztes Knurren ertönte. An diesem Laut war nichts Menschliches. Und doch hatte eine Frau ihn ausgestoßen. Mythor erschrak, als es ihm gelang, sich ihrer zu erwehren und er ihr Gesicht unmittelbar vor sich sah.
    Uralt wirkte sie, besaß das Antlitz einer Toten. Tief eingefallen und von schwarzen Rändern umgeben waren die Augen. Aus ihnen blickte das Böse in die Welt. Zahnlos der Mund; ein dünner, gelblicher Speichelfaden rann über das spitz vorstehende Kinn.
    Die Frau war besessen.
    Kreischend sprang sie wieder auf die Beine und wollte Mythor abermals angreifen. Aber mit dem Knauf Altons schlug er zu, und sie sank besinnungslos zu Boden.
    Weitere Weiber eilten herbei und stürzten sich furiengleich auf den Eindringling. Jede von ihnen trug die Zeichen des Bösen. Mythors letzte Zweifel schwanden. Wenn er dem Geheimnis von Gondaha nahe war, dann hier, in dieser Höhle, in der ungezählte »Dracheneier« vielleicht schon seit Menschengedenken lagen.
    Viele der Besessenen hielten Waffen in Händen. Sie schwangen die Schwerter und Speere ohne Rücksicht auf die eigenen Reihen. Verzerrt waren ihre Münder, wenn sie zuschlugen. Mythor wich langsam zurück. Blicklose Augen starrten ihn an.
    Mit schnellen Hieben gelang es ihm, zwei seiner Gegnerinnen außer Gefecht zu setzen. Neun waren es noch, die ihn hart bedrängten. Nur vor einem schienen sie zurückzuschrecken: vor der heranreifenden Brut. Als Mythor dies erkannte, fiel es ihm leichter, sich die Weiber vom Leib zu halten.
    Er hatte nicht die Absicht, allein das schreckliche Rätsel zu lösen. Gegen weitere ausschlüpfende Tiere und eine Übermacht von Besessenen zugleich würde er ohnehin nicht bestehen können. Deshalb sah er keinen Sinn darin, zu kämpfen.
    Was hatte Scida ihn gelehrt:
    Lasse Vernunft walten, wenn du gegen das Böse fichst. Denn oftmals vermögen vier Augen und vier Schwerter Dinge zu erreichen, die dir als einzelnem für immer versagt bleiben. Dein Leben kann davon abhängen.
    Heftig prallten die Klingen aufeinander, von den Weibern mit dem selbstaufopfernden Mut Seelenloser geführt. Der Gorganer hatte einen schweren Stand.
    Endlich erreichte er einen der aufwärts führenden Gänge. Die Wut der Besessenen schien sich noch zu steigern. Zweifellos wollten sie ihn zurückhalten.
    Alton beschrieb blitzende Kreise und ließ ein fortwährendes Klagen hören. Der Stollen wurde enger, die Weiber behinderten sich gegenseitig, weil nur mehr zwei nebeneinander Platz fanden.
    Endlich verdrängte hereinfallendes Tageslicht das herrschende Halbdunkel. Von einem Augenblick zum anderen wich eine seltsame Beklemmung von Mythor. Die Verfolger blieben zurück. Lediglich ihr Stöhnen begleitete ihn zur Oberfläche.
    Auch dieser Zugang war geschickt getarnt. In unmittelbarer Nähe bemerkte der Kämpfer der Lichtwelt verlassene, bereits halb verfallene Hütten. Die Frage drängte sich auf, ob jene, die einst hier gewohnt, von Dämonen besessen waren.
    Es regnete nicht mehr, doch in der Luft lag eine drückende Schwüle.
    Mythor hatte die Unterwelt in Küstennähe verlassen. Er hörte das Meer rauschen. Weit draußen am Horizont erhoben sich schäumende Wellenkämme. Die Schwimmende Stadt lag jedoch ruhig auf der hoch gehenden See.
    Wohin sollte er sich wenden? Er wußte, daß Scida in Galees Palast weilte. Aber dorthin seine Schritte zu lenken, mochte wenig Sinn haben. Zum einen würde man ihn, einen Mann, niemals vorlassen, zum anderen, wenn Galee wirklich hinter all dem steckte, lief er geradewegs in die Höhle des Drachen.
    Scida würde in ihre Unterkunft zurückkehren, wenn auch heute nicht, so spätestens am anderen Tag.
    Von rechts rollten die Wogen heran. Der Schwanz Gondahas , oder das Heck der Schwimmenden Stadt, wenn man diese als riesiges Schiff ansah, befand sich demnach Linker Hand.
    Mythor beeilte sich nicht sonderlich.
    Er kam an zwei weiteren verlassenen Ansiedlungen vorbei – eine davon zählte mehr als fünfzig Hütten –, bevor er endlich die Höhlen der Scida erreichte. Erneut zeigte der Himmel sich bewölkt. Ein leichter Wind kam auf.
    »Du bist also zurückgekehrt.«
    Die dumpfe Stimme hinter ihm ließ Mythor herumfahren. Seine Rechte glitt an den Schwertknauf.

6.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte Scida und trat aus einer Nische hervor. Mythor stieß Alton in die Scheide zurück.
    »Du bist nicht auf dem Fest?«
    »Ich war dort,
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