Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
versteinert in einer Nische. Merkwürdige Typen und merkwürdige Heilige. Marc hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und hielt sich starr, die Beine leicht gespreizt. Vandoosler hatte in seinem Leben viel Mist gebaut, Vandoosler empfand viel Zuneigung zu seinem Patensohn. Er hatte ihn nie getauft.
    »Essen wir«, sagte Lucien. »Ich habe eine Pastete gebacken.«
    »Was für eine?« fragte Mathias.
    Die drei Männer hatten sich nicht gerührt und redeten von einem Fenster zum anderen miteinander, während sie in den Garten sahen.
    »Eine Hasenpastete. Eine richtig magere Hasenpastete. Ich glaube, sie ist gut.«
    »Hase ist teuer«, bemerkte Mathias.
    »Marc hat den Hasen heute morgen geklaut und ihn mir geschenkt«, erwiderte Lucien.
    »Das ist ja nett«, bemerkte Mathias. »Ganz der Onkel. Warum hast du den Hasen geklaut, Marc?«
    »Weil Lucien sich einen wünschte und weil Hase zu teuer ist.«
    »Natürlich«, sagte Mathias. »So gesehen. Sag mal, wie kommt es, daß du Vandoosler heißt, genau wie dein Onkel mütterlicherseits?«
    »Weil meine Mutter nicht verheiratet war, du Idiot.«
    »Essen wir«, sagte Lucien. »Warum nervst du ihn?«
    »Ich nerv ihn nicht. Ich frage ihn. Was hat Vandoosler angestellt, um degradiert zu werden?«
    »Er hat einem Mörder zur Flucht verhelfen.«
    »Natürlich...«, wiederholte Mathias. »Was ist Vandoosler für ein Name?«
    »Ein belgischer. Anfangs schrieb sich das Van Dooslaere. Unpraktisch. Mein Großvater ist 1915 nach Frankreich gekommen.«
    »Aha«, sagte Lucien. »War er an der Front? Hat er Aufzeichnungen hinterlassen? Briefe?«
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Marc.
    »Der Frage müßte man nachgehen«, meinte Lucien, ohne sich von seinem Fenster zu rühren.
    »Vorher müssen wir erst noch ein Loch graben«, sagte Marc. »Ich weiß nicht, wo wir da reingeraten sind.«
    »In die Scheiße«, erwiderte Mathias. »Eine Frage der Gewohnheit.«
    »Essen wir«, sagte Lucien. »Tun wir so, als wären wir schon wieder raus.«

 
     
9
     
    Vandoosler kam vom Markt zurück. Für die Einkäufe zu sorgen fiel immer mehr in seinen Aufgabenbereich. Das störte ihn nicht, ganz im Gegenteil. Er mochte es, durch die Straßen zu schlendern, die Leute zu beobachten, Gesprächsfetzen zu erhaschen, sich einzumischen, auf Bänken zu sitzen, beim Fischpreis zu feilschen. Bullengewohnheiten, Reflexe eines Verführers, Verirrungen eines Lebens. Er lächelte. Das neue Viertel gefiel ihm. Die neue Baracke auch. Seine alte Wohnung hatte er verlassen, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen, froh, etwas Neues beginnen zu können. Die Idee des Neubeginns hatte ihn schon immer sehr viel stärker gereizt als die des Weitermachens.
    Als er in Sichtweite der Rue Chasle gekommen war, blieb Vandoosler stehen und musterte sein neues Lebensumfeld gründlich und mit Vergnügen. Wie war er hierhergekommen? Eine Folge von Zufällen. Wenn er darüber nachdachte, hatte er den Eindruck, daß sein Leben eine logische Abfolge war, die sich trotzdem aus spontanen Einfällen zusammensetzte, die im einzelnen Moment sehr deutlich waren, auf lange Sicht aber jede Kontur verloren. Große Projekte, einfallsreiche Ideen hatte er bei Gott viele gehabt. Kein einziges aber, das er zu Ende geführt hätte. Kein einziges. Immer hatte er erlebt, wie seine festesten Entschlüsse bei der ersten dringlichen Bitte dahinschmolzen, wie sich seine aufrichtigsten Versprechungen beim geringsten Anlaß verflüchtigten, wie seine mitreißendsten Worte sich vor der Wirklichkeit auflösten. So war das. Er hatte sich daran gewöhnt und hatte nichts Besonderes mehr dagegen einzuwenden. Es reichte aus, auf der Höhe zu sein. Nur im Augenblick war er erfolgreich und häufig sogar brillant auf mittlere Frist, das wußte er, scheiterte er. Diese seltsam provinzielle Rue Chasle war genau richtig. Wieder ein neuer Ort. Für wie lange? Ein Mann ging an ihm vorbei und warf ihm einen Blick zu. Sicher fragte er sich, weshalb er hier auf dem Bürgersteig mit seinem Einkaufskorb herumstand. Vandoosler vermutete, daß dieser Typ sicher erklären könnte, warum er hier lebte, und daß er problemlos in der Lage wäre, ein Bild seiner Zukunft zu entwerfen. Er selbst hätte schon ziemliche Probleme gehabt, sein vergangenes Leben zusammenzufassen. Er sah es als ein phantastisches Netz von Vorfällen, kurzen Ereignissen, die aufeinander gefolgt waren, von gescheiterten oder gelungenen Untersuchungen, wahrgenommenen Gelegenheiten, verführten Frauen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher