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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit
Autoren: Cordwainer Smith
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Nein, nein, nicht Rogow!
     
    (NO, NO, NOT ROGOV!)
     
     
    Jene goldene Gestalt auf den goldenen Stufen zitterte und flatterte wie ein Vogel, der irrsinnig geworden war – wie ein Vogel, ausgestattet mit einem Intellekt und einer Seele, der dennoch von Wahnsinn überwältigt wurde durch Ekstase und Entsetzen, die jenseits menschlichen Verständnisses lagen – Ekstase, vorübergehend zur Realität geworden durch die Vollendung eines überragenden Kunstwerkes. Tausend Welten nahmen daran teil.
    Hätte man die alte Zeitrechnung fortgeschrieben, wäre dies jetzt das Jahr 13 582 A.D. Nach Niederlagen, nach Enttäuschungen, nach Zerstörung und Wiederaufbau hatte die Menschheit die Sterne erreicht.
    Aus der Begegnung mit unmenschlicher Kunst, aus der Konfrontation mit nichtmenschlichen Tänzen, hatte die Menschheit eine großartige ästhetische Tat geschöpft und die Bühne auf allen Welten betreten.
    Die goldenen Stufen wirbelten vor den Augen. Einige Augen waren mit einer Retina versehen. Andere Augen bestanden aus kristallenen Kegeln. Dennoch waren alle Blicke auf die goldene Gestalt gerichtet, die den Ruhm und den Erfolg des Menschen auf dem Interwelten-Tanzfestival darstellte, in einer Zeit, die das Jahr 13 582 A.D. hätte sein können.
    Erneut gewann die Menschheit den Wettbewerb. Musik und Tanz wirkten hypnotisch über alle Grenzen der Systeme hinaus und bannten die Blicke, schockierten die Augen menschlicher und nichtmenschlicher Wesen. Der Tanz war ein Triumph des Schocks – des Schocks, den dynamische Schönheit erzeugte.
    Die goldene Gestalt auf den goldenen Stufen drückte schimmernde, komplexe Bedeutungen aus. Der Körper war golden und dennoch menschlich. Der Körper war der einer Frau und mehr noch als eine Frau. Auf den goldenen Stufen, in dem goldenen Licht, zitterte und flatterte sie wie ein Vogel, der irrsinnig geworden war.
     
1
     
    Der Staatssicherheitsminister war tief schockiert, als man herausfand, daß ein eher heldenhafter als kluger Nazi-Agent fast bis zu N. Rogow vorgedrungen war.
    Rogow war für die Streitkräfte der Sowjets wertvoller als zwei Flugzeuggeschwader oder drei motorisierte Divisionen. Sein Gehirn war eine Waffe, eine Waffe im Dienst der Sowjetmacht.
    Da sein Gehirn eine Waffe darstellte, war Rogow ein Gefangener. Es machte ihm nichts aus.
    Rogow war ein typischer Russe, breitgesichtig, mit sandfarbenem Haar, blauen Augen, einem listigen Lächeln und humorvollen Wangengrübchen.
    »Natürlich bin ich ein Gefangener«, pflegte Rogow zu sagen. »Ich bin ein Gefangener des Staates, der dem sowjetischen Volk dient. Aber die Arbeiter und Bauern sind gut zu mir. Ich bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Generalmajor der Luftstreitkräfte der Roten Armee, Professor an der Universität von Charkow und Stellvertretender Arbeitsdirektor des Kampfflugzeugproduktionsbetriebes Rote Fahne. Von allen beziehe ich ein Gehalt.«
    Manchmal musterte er seine russischen Gelehrtenkollegen mit verengten Augen und fragte sie todernst: »Diene ich Kapitalisten?«
    Die entsetzten Kollegen überwanden dann stotternd ihre Verwirrung und versicherten ihre ewige Loyalität zu Stalin oder Berija oder Schukow oder Molotow oder Bulganin, je nachdem, was gerade erforderlich war.
    Rogow wirkte stets sehr russisch: Gelassen, spöttisch, amüsiert. Er ließ sie stottern.
    Und dann lachte er.
    Sein Ernst wich Vergnügtheit und explodierte in einem blubbernden, überschäumenden, humorvollen Gelächter. »Natürlich könnte ich nicht den Kapitalisten dienen. Meine kleine Anastasia würde mir das nicht erlauben.«
    Die Kollegen lächelten dann unbehaglich und wünschten, daß Rogow nicht so wilde oder so komödiantenhafte oder so freie Reden führen würde.
    Selbst Rogow mochte der Tod ereilen.
    Rogow glaubte das nicht.
    Aber sie.
    Rogow fürchtete sich vor nichts.
    Die meisten seiner Kollegen fürchteten sich voreinander, vor dem Sowjetsystem, vor der Welt, dem Leben, dem Tod.
    Vielleicht war Rogow einst gewöhnlich und sterblich wie die anderen Menschen und voller Angst gewesen.
    Doch er war der Liebhaber, der Kollege, der Ehemann von Anastasia Fjodorowa Cherpas geworden.
    Genossin Cherpas war seine Rivalin, seine Gegenspielerin und Konkurrentin gewesen in dem Kampf um wissenschaftliche Anerkennung unter den tollkühnen slawischen Pionieren der russischen Wissenschaft. Russische Wissenschaft konnte niemals die unmenschliche Perfektion deutscher Methoden, die rigide intellektuelle und moralische Disziplin
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